Sonntag, 29. Dezember 2013

Im Hier und Jetzt

Henry Gustav Molaison kurz vor der Operation,
die ihm sein Gedächtnis raubte. 
Im Hier und Jetzt leben, das ist für viele ein großes Ideal. Unzählige Gurus bemühen sich ihre Schäfchen auf den Moment einzuschwören. Doch da lese ich gerade von Henry Molaison. Eine misslungene Operation beraubte ihn seines Hippocampus und eines kleinen Teil des Frontallappens. Damit war es vorbei mit dem Speichern von Information. Sich erinnern, oder etwa in der Vergangenheit zu schwelgen, war ohne dieser Hirnregion unmöglich.

Von seinem 27. Lebensjahr an lebte Molaison fortan ausschließlich im Hier und Jetzt, von einem Augenblick zum nächsten. Doch das machte es ihm unmöglich emotionale Beziehung zu Menschen aufzubauen. Kaum war etwa ein kurzes Gespräch mit jemandem beendet, war es auch schon wieder vergessen und Molaison begrüßte sein Gegenüber, als wäre es das erste Mal. Zum Begegnen brauchen wir also Erinnerungen, müssen wir uns offensichtlich als Menschen mit Anfang, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begreifen. Das mit dem “ganz im Hier und Jetzt sein” klingt also ganz schick radikal, funktioniert aber zum Glück nur bei Gehirnamputierten.

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