Sonntag, 29. Dezember 2013

Der Medicus

Bin beeindruckt von "Der Medicus". Das waren eben 150 Minuten opulente Unterhaltung. Großes Kino aus Deutschland! Vielleicht ein bisschen zu viel Schmutz in den Gesichtern der mittelalterlichen Bewohner. Dafür auf der anderen Seite etwas zu "sterile" Digitallandschaften von Pixomondo.

Eigentlich ist der Film ein nettes Märchen an coolen Schauplätzen. Und vielleicht ist er deshalb so voll an Gedankenanstöße und Botschaft. Gewarnt wird etwa vor Menschen, die im Namen Gottes sprechen und ihre Ängste und Unbeweglichkeit hinter vermeintlich göttlicher Autorität verstecken. (Und diese Warnung ist nicht nur für das Mittelalter gültig!)

Auch regt der Film zum Nachdenken über die Zukunft an (wenn einen nicht ständig das Mobiltelefondisplay einer Sitznachbarin blendet). Irgendwie will man gerne an den steten Fortschritt glauben, dass alles voranschreitet. Und dann erfahren wir in der berührenden Geschichte von Noah Gordon, dass im Mittelalter vieles an Wissen, das es zuvor schon einmal in Europa gab, wieder verloren gegangen war. Da sollten wir doch heute vielleicht ein bisschen besser aufpassen, dass wir nicht vor lauter Angst in alte Verhaltensmuster zurückfallen und zur falschen Medizin greifen.

Vorwärtskommen, forschen, Erkenntnis sammeln ist ein langsamer und mühsamer Weg. Alles in Schutt und Asche zu legen geht sehr schnell. Generationen haben sich für Freiheit und Gleichheit eingesetzt. Die persönlichen Interessen und Machtgelüste einiger wenigen haben Kraft das alles recht rasch wieder in Frage zu stellen.  Die Dummheit vieler war dabei oft ein guter Dienst. Es geht also nicht immer automatisch weiter und voran. Wir müssen dafür schon auch etwas tun.

Im Hier und Jetzt

Henry Gustav Molaison kurz vor der Operation,
die ihm sein Gedächtnis raubte. 
Im Hier und Jetzt leben, das ist für viele ein großes Ideal. Unzählige Gurus bemühen sich ihre Schäfchen auf den Moment einzuschwören. Doch da lese ich gerade von Henry Molaison. Eine misslungene Operation beraubte ihn seines Hippocampus und eines kleinen Teil des Frontallappens. Damit war es vorbei mit dem Speichern von Information. Sich erinnern, oder etwa in der Vergangenheit zu schwelgen, war ohne dieser Hirnregion unmöglich.

Von seinem 27. Lebensjahr an lebte Molaison fortan ausschließlich im Hier und Jetzt, von einem Augenblick zum nächsten. Doch das machte es ihm unmöglich emotionale Beziehung zu Menschen aufzubauen. Kaum war etwa ein kurzes Gespräch mit jemandem beendet, war es auch schon wieder vergessen und Molaison begrüßte sein Gegenüber, als wäre es das erste Mal. Zum Begegnen brauchen wir also Erinnerungen, müssen wir uns offensichtlich als Menschen mit Anfang, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begreifen. Das mit dem “ganz im Hier und Jetzt sein” klingt also ganz schick radikal, funktioniert aber zum Glück nur bei Gehirnamputierten.

Montag, 9. Dezember 2013

Der ideale Mann

Alles anders, selbst in den kleinsten Einheiten. Kaum ist ein Wort beim zweiten Buchstaben angekommen, schon kann man sich nicht sicher sein, wie es denn genau gemeint war. Die Sätze verdrehen noch in der Hälfte vor dem Punkt ihren Sinn und offensichtlich ist nichts so, wie es scheint. Elfriede Jelinek hat Oscar Wildes Theaterstück „An Ideal Husband“ bearbeitet und daraus mit „Der ideale Mann“ eine beißende Kritik am Oberflächlichen im Burgtheater kalauert.

Doch will man überhaupt am Oberflächlichen vorbei in die Tiefe schauen, die Abgründe entdecken? Jede der Figuren im Stück blendet, tarnt und täuscht, gibt vor und löst dann anderes ein. So hat der erfolgreiche Sir Robert Chilten (Michael Maertens) durch illegale Weitergabe von Informationen sein Vermögen gemacht, gilt aber in der Gesellschaft und Partei als Saubermann und Vorbild. Seine Frau (Katharina Lorenz), Charity Lady par excellence, ahnt die Lebenslüge ihres Mannes, fordert Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, genießt dennoch den illegalen Reichtum. Und kaum ist sie selbst in einer schwierigen Situation, weil ein durchaus zweideutig zu verstehender Brief in falsche Hände gerät, ist auch bei ihr die Lüge schnell im Mund.

Das Herauswinden aus den Verdrehungen ergibt viele lustig anmutende Sätze, doch der ernste reale Hintergrund diverser Skandale in Österreich schwingt immer mit. Und selbst der Buttler (Peter Matić) gibt ständige etwas vor. Sei es, dass er zuhört und es doch nicht versteht, oder dass er sein schweres Gehen zur Schau stellt, in Wirklichkeit aber fit wie ein Wiesel ist. Falschheit ist keine Eigenschaft von denen da oben. Wollen es sich alle richten, egal ob Frühpension oder Aktiengewinn und sei es nur ein Kuraufenthalt? Der große Spiegel links auf der Bühne gilt uns allen!

Am Schluss rettet dann der scheinbare Taugenichts Lord Goring (Matthias Matschke) vieles aus der verfahrenen Situation. Nach den Regeln der Dramaturgie ist er der Held. Nichts ist eben so wie es scheint, erste Eindrücke erzeugen gerne falsche Bilder. Der bedeutungsschwere Theaterabend schließt unerwartet als slapstickreiche Komödie mit Happy End. Man kann auch wirklich nichts und niemandem trauen!

Sonntag, 8. Dezember 2013

Troja - Sind wir Spielball der Götter, oder haben wir es in der Hand?


Neid, Zorn, Intrige, Lug und Trug, ein Olymp voller schlechter Eigenschaften. Ich gestehe, meine Sympathie für die griechischen Göttersagen hält sich in Grenzen. Doch die gestrige Aufführung von Troja im Kasino am Schwarzenbergplatz hat meine Neugierde geweckt. Wieder hat es Matthias Hartmanns Regie geschafft, mit einfachen Mitteln grandiose Effekte und tiefe Emotionen auf die Bühne zu zaubern. Theater das berührt und bewegt. 

Dazu bewegt, etwa noch weit nach Mitternacht, die klassischen Erzählungen des Altertums als E-book zu laden und mit dem Lesen zu beginnen. Theater, das zum Nachdenken anregt: Die Menschen als Spielbälle der Götter? Willenlos Getriebene in der Spirale von Hass, Elend und sinnlosen Kriegen? Verantwortungslos? Und weil man diesen olympischen Götterspiegel, der da den Menschen vorgehalten wird, in seiner Schwere und Dramatik nicht aushalten würde, gibt es feine Pointen und Momente, wo man erleichtert lachen darf. 

Am Schluss steht dann das trojanische Pferd mitten auf der Bühne. Wie würde die Geschichte eigentlich weitergehen, wenn es ein echtes Geschenk, ohne doppeltem Boden gewesen wäre? Was kann Hass, Zorn, Intrige und Krieg stoppen? Haben wird in den letzten 2500 Jahren etwas dazu gelernt?