Ruth Pfau, 84 Jahre, in Leibzig geboren. Sie lebt seit 50 Jahren in Pakistan. |
Ruth Pfau sitzt vorne im Jeep. Mithilfe eines Schemels schafft sie den Einstieg über die Hohe Bodenkante. Es rührt mich, als ich später erfahre, dass sich die 84 jährige Frau ernsthaft überlegt hat mir, ihrem Gast, den Platz vorne zur Verfügung zu stellen. Zu den hinteren Plätzen kommt man nur mit einem komplizierten Schlichtungssystem. Einstieg durch die Heckklappe, überwinden mehrerer Kisten, zusammenklappen der Füße und schließlich Einschlichten in der zweiten Reihe. Ich frage mich ernsthaft, wie sich die Konstrukteure von Jeeps das Besteigen ohne Hintertüren gedacht haben. Aber über die Funktionalität von so manchem, sollte man sich vielleicht lieber keine Gedanken machen.
Es dauert also ein wenig, bis wir alle geschlichtet sind und der Jeep vollbesetzt mit acht Personen losfährt.
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Die letzten Kilometer zum Ziel geht es über Sandpisten |
Leprasymptome aber keine Diagnose
Unser Ziel ist ein Großfamilie im Gebiet von Thatta. Die letzten Kilometer geht es über staubige Feldwege. Hierher wurde Ruth Pfau vor sechs Wochen zu vermeintlichen Leprafällen gerufen. Fünf Burschen und drei Mädchen der Familie, im Alter von 23 bis 4 Jahren, hatten Symptome von Lepra an Händen, Füßen und Gesicht. Zur besseren Diagnose wurden die Kinder und die jungen Erwachsenen ins MALC-Spital nach Karachi gebracht. Hände und Füße der Patient sind schon fast vollständig verstümmelt. Die Nase lepratypisch deformiert. Nach eingehenden Untersuchungen weiß man aber jetzt, dass es ziemlich Sicher nicht Lepra ist. Aber was ist es dann? Dem will Ruth Pfau und ihr Team nun genauer nachgehen und einige Familienmitglieder befragen.
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Ruth Pfau untersucht ein krankes Kind in Thatta |
Die einfache Hütte der Familie wirkt
gepflegt. Der Boden ist sauber gekehrt, ein gut bestellter Acker
befindet sich gleich daneben. Und es gibt Hühner und Ochsen. Im
vergleich zu den Slums der Großstadt wirkt das hier fast wie Idylle
auf mich. Doch der Schein trügt. Als Ruth Pfau vor sechs Wochen das
erste Mal hier war, waren alle dramatisch unterernährt. Der kleine
Acker kann die große Familie nicht ernähren. Immer mehr Kinder,
Jugendliche, Erwachsene kommen herbei und umringen Ruth Pfau. Das
Land gehört der Familie nicht, erfahren wir. Als Mieter müssen sie
die Hälfte des Ertrages vom Acker abgeben. Das heißt, etwa ab der
Mitte des Jahres hat die Familie nichts mehr zu essen. Zumindest in
den letzten sechs Wochen wurden sie vom MALC mit Lebensmitteln
unterstützt.
Gewaltige Schotterstreifen
Das gewaltige Schotterbett des Indus |
Über mehrere Monate ist das Wasser überall auf den Feldern gestanden und als es weg war, hat die Sonne innerhalb von kurzer Zeit den eigentlich fruchtbaren Schlamm so rasch getrocknet, dass ein Bestellen des Bodens unmöglich war. Wie betoniert waren die Felder. Mit Handarbeit und Ochsenpflug war da nicht viel auszurichten. Die wenigen Maschinen für die Feldarbeit, sind im Besitz der „Landlords“ und die lassen sich die Miete ordentlich bezahlen. Keine Chance also für die meist armen Bauernfamilien.
Rast nur für Männer
Viel ist nicht los auf der alten Straße zwischen Karachi und Hayderabat. Hin und wieder ein bunt bemalter LKW, der kunstvoll aufgeschlichtet, die Last für mindestens zwei weitere Fuhren aufeinmal trägt. Durch die schwere Ladung doppelt so breit und dreimal so hoch, begegnen uns diese fahrenden Eisenkisten im Schritttempo, so schwarz rauchend, dass man eigentlich meinen könnte, LKW und Ladung sind bereits im Vollbrand. Auf der Seite immer wieder Truck-Stopps. Auch wir machen dort Rast.
Doch Truckstopps sind eigentlich nur für Männer. Sie sitzen von der Sonne geschützt unter Planen, trinken Tee und werden bedient. Frauen bleiben entweder im Auto oder dürfen sich in einen stickigen Nebenraum ohne Fenster und Ventilator zurückziehen. Ruth Pfau wäre aber nicht Ruth Pfau, würde sie nicht eine Lösung finden. Kurzerhand wird ein Tisch aus dem Männerbereich in den Schatten von ein paar Bäumen neben die Raststätte gestellt. Perfekt!
Rund
um die Städte Kotri und Hayderabat wird es wieder schmutziger.
Nicht, dass es am Land nicht auch Unmengen an Plastik in der
Landschaft verteilt gibt, doch in und rund um die Städte ist das
Verhältnis Plastik und Landschaft eindeutig zu Gunsten des Plastiks.
In
Hayderabat übernachten wir im Field-Office von MALC. Die
Verantwortlichen erwarten uns schon und freuen sich über den Besuch
von Ruth Pfau.
Königlicher Gast in alten Laken
Ich bekomme das beste Zimmer. Der Gast ist hier König. Die Fenster haben teilweise kein Glas und so kommt unablässig ganz feiner Staub ins Zimmer. Innerhalb weniger Stunden ist mein Equipment sichtlich davon überzogen, ganz zu schweigen von dem Bett. Überall fühlt man das feine Reiben und es knirscht zwischen den Zähnen. Dass Bettzeug wirkt schon mehrfach verwendet, das ist hier üblich und daran muss man sich erst gewöhnen. Bettzeugwechsel gibt es hier eigentlich nicht, denn es gibt ja nur eine Garnitur. Und nachdem ich gesehen habe, dass viele hier ihre Wäsche im Fluss waschen, und am Boden ausgelegt trocknen, bin ich mir gar nicht sicher was das kleinere Übel ist? Augen zu und durch.
Erster Teil: Bei Ruth Pfau in Pakistan
Zweiter Teil: Pünktlichkeit und deutscher Humor in Pakistan
Dritter Teil: Erfolgsgeschichte: Slumbewohner werden Bürger von Kamissagoth
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