Mittwoch, 26. Februar 2014

Pünktlichkeit und deutscher Humor in Pakistan

Ruth Pfau
Ruth Pfau, 84 Jahre, in Leibzig geboren.
Sie lebt seit 50 Jahren in Pakistan.
Ruth Pfau ist Deutsche. Und das merkt man vor allem an ihrem Hang zur Pünktlichkeit. Für 6.30 Uhr in der Früh ist die Abfahrt nach Hayderabat vereinbart. Ruth Pfau sitzt bereits um 6.20 Uhr im Wagen und spätestens um 6.25 Uhr wird sie ungeduldig und fragt, warum die anderen zu spät kommen. Ihre pakistanischen Mitarbeiter können unzählige Geschichten dazu erzählen. Auch von ihrem unermüdlichen Fleiß. Ihr Arbeitseifer ist immer noch ein bisschen gefürchtet. Ihr Lieblingsmonat sei der Ramadan, so Mervyn Lobo, der jetzige CEO von Ruth Pfaus Hilfswerk, denn da müsse man keine Mittagspause machen und könne durcharbeiten, zitiert er sein großes Vorbild mit einem leichten Grinsen im Gesicht. Und nachdem das Team einmal 14 Stunden ohne Pause durchgearbeitet hatte und ein Kollege am nächsten Tag nur fünf Minuten nach sieben Uhr in der Früh zu spät erschien, pflegte Ruth Pfau bereits einen „guten Abend“ zu wünschen. Ob ernst oder witzig gemeint weiß man nie genau. Deutscher Humor ist weder für Pakistanis noch für Österreicher immer klar von Rüge und Vorwurf zu trennen. Aber der Fleiß von Pfau und ihrem Team hat sich ausgezahlt. Nach 50 Jahren Einsatz ist die Lepra in Pakistan unter Kontrolle.

Abfahrt nach Thatta um 6.30 Uhr in der Früh

Ein Jeep wie eine Sardinendose


Ruth Pfau sitzt vorne im Jeep. Mithilfe eines Schemels schafft sie den Einstieg über die Hohe Bodenkante. Es rührt mich, als ich später erfahre, dass sich die 84 jährige Frau ernsthaft überlegt hat mir, ihrem Gast, den Platz vorne zur Verfügung zu stellen. Zu den hinteren Plätzen kommt man nur mit einem komplizierten Schlichtungssystem. Einstieg durch die Heckklappe, überwinden mehrerer Kisten, zusammenklappen der Füße und schließlich Einschlichten in der zweiten Reihe. Ich frage mich ernsthaft, wie sich die Konstrukteure von Jeeps das Besteigen ohne Hintertüren gedacht haben. Aber über die Funktionalität von so manchem, sollte man sich vielleicht lieber keine Gedanken machen.

Es dauert also ein wenig, bis wir alle geschlichtet sind und der Jeep vollbesetzt mit acht Personen losfährt.
Die letzten Kilometer zum Ziel geht es über Sandpisten
Am Stadtrand von Karachi geht gerade die Sonne auf und im Morgenlicht können die staubigen Gassen, die qualmenden Misthaufen und unübersehbaren Müllhalden durchaus betören. Doch Romantik und Verklärung ist nichts für Ruth Pfau und so lasse ich es auch lieber bleiben. Mit dem ersten Licht füllen sich die Straßen innerhalb weniger Minuten. Im Finstern waren wir noch fast alleine unterwegs, jetzt stauen sich bereits bunt bemalte LKWs, Motorräder, ein paar PKWs und dazwischen Eselskarren.

Leprasymptome aber keine Diagnose


Unser Ziel ist ein Großfamilie im Gebiet von Thatta. Die letzten Kilometer geht es über staubige Feldwege. Hierher wurde Ruth Pfau vor sechs Wochen zu vermeintlichen Leprafällen gerufen. Fünf Burschen und drei Mädchen der Familie, im Alter von 23 bis 4 Jahren, hatten Symptome von Lepra an Händen, Füßen und Gesicht. Zur besseren Diagnose wurden die Kinder und die jungen Erwachsenen ins MALC-Spital nach Karachi gebracht. Hände und Füße der Patient sind schon fast vollständig verstümmelt. Die Nase lepratypisch deformiert. Nach eingehenden Untersuchungen weiß man aber jetzt, dass es ziemlich Sicher nicht Lepra ist. Aber was ist es dann? Dem will Ruth Pfau und ihr Team nun genauer nachgehen und einige Familienmitglieder befragen.

Ruth Pfau untersucht ein Kind
Ruth Pfau untersucht ein krankes Kind in Thatta
Die einfache Hütte der Familie wirkt gepflegt. Der Boden ist sauber gekehrt, ein gut bestellter Acker befindet sich gleich daneben. Und es gibt Hühner und Ochsen. Im vergleich zu den Slums der Großstadt wirkt das hier fast wie Idylle auf mich. Doch der Schein trügt. Als Ruth Pfau vor sechs Wochen das erste Mal hier war, waren alle dramatisch unterernährt. Der kleine Acker kann die große Familie nicht ernähren. Immer mehr Kinder, Jugendliche, Erwachsene kommen herbei und umringen Ruth Pfau. Das Land gehört der Familie nicht, erfahren wir. Als Mieter müssen sie die Hälfte des Ertrages vom Acker abgeben. Das heißt, etwa ab der Mitte des Jahres hat die Familie nichts mehr zu essen. Zumindest in den letzten sechs Wochen wurden sie vom MALC mit Lebensmitteln unterstützt.


Ruth Pfau beginnt mit ihrem Team eine Anamnese. Fast zwei Stunden werden die Familienmitglieder befragt. Kein leichtes Unterfangen, denn in Pakistan spricht man über 40 verschiedene Sprachen. So wird meist drei- bis viermal „um die Ecke“ übersetzt. Stellt man dann die Kontrollfragen, klingt vieles wieder gegensätzlich zur vorherigen Antwort. Vermutungen, dass giftiges Wasser oder Unterernährung für die der Lepra ähnlichen Symptome verantwortliche sein könnten, erhärten sich nicht. Das Team ist ratlos und man beschließt vorerst die acht Patienten nach der Erstversorgung wieder zurück zur Familie aufs Land zu schicken. Ruth Pfau besteht aber auf eine nachhaltige Lösung: Zumindest das Problem der dramatische Unterernährung der Familie muss gelöst werden. Zwei von den gesunden Söhnen arbeiten als Fahrer von Motorrikschas, kleinen Motorradtaxis. Doch nach Abzug des Mietpreises von 500 Rupee, bleibt auch davon nicht viel der Familie. Es wird also beschlossen zwei Motorrikschas zur Verfügung zu stellen. Ziel ist es, dass somit die Familie langfristig selbst für die acht behinderten Kinder wird sorgen können.

Gewaltige Schotterstreifen


Das gewaltige Schotterbett des Indus
Weiterfahrt nach Hayderabat. Die Landschaft ist beeindruckend. Weite Ebenen und darin breite Flussbette, die ihre Schotterstreifen durch die Landschaft ziehen. Zur Zeit führt der Indus, der Hauptfluss hier, nur wenig Wasser, aber man kann sich vorstellen, mit welcher gewaltiger Macht die Wassermassen die Landschaft beständig verändern und welche dramatischen Auswirkungen das Hochwasser im Juli 2010 auf die Menschen hatte. 

Über mehrere Monate ist das Wasser überall auf den Feldern gestanden und als es weg war, hat die Sonne innerhalb von kurzer Zeit den eigentlich fruchtbaren Schlamm so rasch getrocknet, dass ein Bestellen des Bodens unmöglich war. Wie betoniert waren die Felder. Mit Handarbeit und Ochsenpflug war da nicht viel auszurichten. Die wenigen Maschinen für die Feldarbeit, sind im Besitz der „Landlords“ und die lassen sich die Miete ordentlich bezahlen. Keine Chance also für die meist armen Bauernfamilien.


Rast nur für Männer


Viel ist nicht los auf der alten Straße zwischen Karachi und Hayderabat. Hin und wieder ein bunt bemalter LKW, der kunstvoll aufgeschlichtet, die Last für mindestens zwei weitere Fuhren aufeinmal trägt. Durch die schwere Ladung doppelt so breit und dreimal so hoch, begegnen uns diese fahrenden Eisenkisten im Schritttempo, so schwarz rauchend, dass man eigentlich meinen könnte, LKW und Ladung sind bereits im Vollbrand. Auf der Seite immer wieder Truck-Stopps. Auch wir machen dort Rast.

Doch Truckstopps sind eigentlich nur für Männer. Sie sitzen von der Sonne geschützt unter Planen, trinken Tee und werden bedient. Frauen bleiben entweder im Auto oder dürfen sich in einen stickigen Nebenraum ohne Fenster und Ventilator zurückziehen. Ruth Pfau wäre aber nicht Ruth Pfau, würde sie nicht eine Lösung finden. Kurzerhand wird ein Tisch aus dem Männerbereich in den Schatten von ein paar Bäumen neben die Raststätte gestellt. Perfekt!

Rund um die Städte Kotri und Hayderabat wird es wieder schmutziger. Nicht, dass es am Land nicht auch Unmengen an Plastik in der Landschaft verteilt gibt, doch in und rund um die Städte ist das Verhältnis Plastik und Landschaft eindeutig zu Gunsten des Plastiks.

In Hayderabat übernachten wir im Field-Office von MALC. Die Verantwortlichen erwarten uns schon und freuen sich über den Besuch von Ruth Pfau.

Königlicher Gast in alten Laken


Ich bekomme das beste Zimmer. Der Gast ist hier König. Die Fenster haben teilweise kein Glas und so kommt unablässig ganz feiner Staub ins Zimmer. Innerhalb weniger Stunden ist mein Equipment sichtlich davon überzogen, ganz zu schweigen von dem Bett. Überall fühlt man das feine Reiben und es knirscht zwischen den Zähnen. Dass Bettzeug wirkt schon mehrfach verwendet, das ist hier üblich und daran muss man sich erst gewöhnen. Bettzeugwechsel gibt es hier eigentlich nicht, denn es gibt ja nur eine Garnitur. Und nachdem ich gesehen habe, dass viele hier ihre Wäsche im Fluss waschen, und am Boden ausgelegt trocknen, bin ich mir gar nicht sicher was das kleinere Übel ist? Augen zu und durch. 


Erster Teil: Bei Ruth Pfau in Pakistan
Zweiter Teil: Pünktlichkeit und deutscher Humor in Pakistan
Dritter Teil: Erfolgsgeschichte: Slumbewohner werden Bürger von Kamissagoth

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