Dienstag, 25. Februar 2014

Bei Ruth Pfau in Pakistan


180 Million Menschen leben in Pakistan. Eine Zahl die schnell ausgesprochen ist. Doch eine Vorahnung was so viele Menschen bedeuten kommt mir erst, als die ersten Sonnenstrahlen Karachi unter mir ins zarte Rot tauchen. Ich bin auf dem Landeanflug und fast 20 Minuten lang ziehen hunderttausende Häuser und Hütten unter mir vorüber und mit der aufgehenden Sonne kommt zunehmend Leben in die Straßen.

Vom Flughafen geht es rasch ins Zentrum von Karachi, zumindest mit meinem Fahrer. Ich sitze in einem Kleinbus, der eigentlich außer für seine rechteckige Form das Wort Bus nicht verdient und irgendwie fühle ich mich sehr unmittelbar der Straße ausgesetzt. Nur wenige Millimeter Blech trennen mich von der Außenwelt und die kommt ständig gefährlich nahe. Trotz schlechter Bremsen schaffen wir es aber ohne nennenswerte Kontakte weiter. Was mir trotz Konzentration auf die Stoßstangen der anderen Fahrzeuge auffällt, viele bewaffneten Wachposten auf den Hausdächern und Wachtürmen neben der Straße zeigen, dass hier in den letzten Tagen nicht alles friedlich war. Immer wieder wurden Viertel gesperrt, weil es zu Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichsten Gruppen gekommen ist. Vor allem die verschiedenen Denkschulen im Islam sind durchaus im tödlichen Streit. Daneben gibt es aber auch Morde wegen Schutzgelderpressungen und Korruption.

Patient im MALC-Spital in Karachi
Erst vergangene Nacht gab es auch eine Schießerei rund um das Maria Adelaid Lebrocy Center, kurz MALC genannt. Das MALC in Karachi ist ein von Ruth Pfau gegründetes Spital zur Bekämpfung der Lepra und auch Namensgeber des Leprahilfswerkes. Ruth Pfau wohnt in dem an das Spital angeschlossene Verwaltungsgebäude. Die heute 84 jährige deutsche Ärztin und Ordensfrau und das von ihr gegründete Leprahilfswerk ist der eigentliche Anlass meiner Reise nach Pakistan.

Mein Fahrer lässt es sich nicht nehmen meinen Koffer die Treppen über das enge Stiegenhaus des MALC hinauf zu schleppen. Er tut mir leid, denn mit all dem Video-Equipment, das ich mit mir habe, ist das zulässige Fluggewicht von 30 kg voll ausgereizt und bei der Größe und Zartheit des Fahrers, muss der Koffer für in ungefähr doppelt so schwer wirken. Ich bin mir sicher, spätestens beim zweiten Stock bereut er seine zuvorkommende Höflichkeit und wünscht sich, dass er mich das „Monstrum“ hätte selber schleppen lassen.

Patient im MALC-Spital in Karachi
Vorbei geht es an vollen Krankenzimmern. Menschen mit verkrüppelten Gliedmaßen lächeln mich freundlich an. Zuhause hatte ich noch ein wenig darüber gescherzt, dass ich mein Quartier in einem Lepraspital aufschlage, doch gerade eben wird der Scherz Realität. Ich bin dann doch einigermaßen erleichtert, nicht gleich neben einem Krankenzimmer mein Lager aufschlagen zu müssen, sondern im Gästetrakt des Hospitals.

Ein paar Minuten später erfahre ich, dass Ruth Pfau mich erwartet. Alle nennen sie hier „Doctor“. Schnell wird mir klar, Etikette ist in Pakistan wichtig. Ich bin schon sehr neugierig. Viel habe ich von Ruth Pfau gehört, einiges in Büchern über sie gelesen. Mit 84 Jahren ist sie noch erstaunlich fit, nur das Stiegensteigen bereitet ihr größere Mühe. Wir reden nicht lange, sondern machen sofort eine Begrüßungsrunde beim Management, des von ihr gegründeten Hilfswerks. Allen voran werde ich Mervyn Lobo, dem Leiter der Organisation vorgestellt. Praktischer Weise ist die Verwaltung des gesamten MALC Hilfswerkes auch im Spital untergebracht und in wenigen Minuten lerne ich die verschiedensten "Departments" kennen. Ein bisschen erahne ich die Größe des MALC. Es ist Landesweit mit rund 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in unterschiedlichsten Projekten aktiv und einer der ersten und größten NGOs in Pakistan.

Ruth Pfau besucht die Patienten im MALC
Ruth Pfau in ihrem kleinen Zimmer im MALC
Doch gleich nach der Theorie die Praxis: Ein Rundgang durch die Patientenzimmer im Spital in Karachi. Bei einer Leprapatientin haben sich Krebsgeschwüre an den Amputationen gebildet. Sie müsste dringend operiert werden. Diese Operation kann aber im MALC-Spital derzeit nicht durchgeführt werden. Ein englischer Arzt, der diese Operationen durchführen könnte, wurde bedroht und ausgeraubt. Er hat seinen Dienst quittiert und ist zurück nach Großbritannien geflogen. Seit einigen Tagen fehlt also ein Arzt, der das operieren könnte. Als Ruth Pfau das erfährt, erlebe ich sogleich etwas von ihrem Tatendrang und ihrer Entschlossenheit. Sofort ruft sie ein Consilium unter den Mitarbeitern ein. Es wird diskutiert und schließlich eine Operation in einem anderen Spital beschlossen. Jetzt geht es nur noch um die Kosten: Umgerechnet 180 Euro. Darum kümmert sich nun Claudia Villani. Die fast 60 jährige Wienerin reist seit zehn Jahren regelmäßig nach Pakistan und ist in den letzten Jahren eine enge Freundin von Ruth Pfau geworden. In Wien sammelt sie eifrig Spendengelder und kümmert sich dann um die direkte Verwendung vor Ort.

Pakistanis sind sehr zuvorkommend. Ständig wird mir Tee angeboten, ob ich eine Pause bräuchte, ob man mir beim Tragen des Equipments helfen könnte und ob ich etwas essen wolle. Ich bestehe auf keine „Extrawünsche“ und bekomme im pakistanischen Stil zubereitete Krankenhauskost, die wunderbar mundet! Für eine Woche darf ich nun am Tisch im kleinem Zimmer von Ruth Pfau platz nehmen und aus nächster Nähe ungeschminkt ihren Alltag miterleben.


Erster Teil: Bei Ruth Pfau in Pakistan
Zweiter Teil: Pünktlichkeit und deutscher Humor in Pakistan
Dritter Teil: Erfolgsgeschichte: Slumbewohner werden Bürger von Kamissagoth

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