Zum
Field-Office kommen schon in der Früh die ersten Patienten. Sie
holen sich hier ihre Lepra-Medikamente und werden folgeuntersucht.
Auch Lepra-Verdachtsfälle werden hier gemeldet und erstuntersucht.
Was ich jetzt erst erfahre: Lepra ist unbehandelt hoch ansteckend,
auch für mich!
In
50 Jahren hat es Ruth Pfau und ihr Team geschafft die Lepra in
Pakistan in den Griff zu bekommen. Immer weniger neue
Lepraerkrankungen werden gemeldet. Dennoch gibt es viel zu tun. In
vielen Regionen sind ehemalige Leprapatienten noch immer geächtet und
aus dem Familienverband verstoßen. Von außen sind sie mit ihren
verstümmelten Händen und Füßen und den Zeichnungen im Gesicht sofort erkennbar.
Viele können keiner Arbeit mehr nachgehen, sind auf Hilfe im Alltag
angewiesen. Das MALC betreibt daher Häuser, in denen ehemalige
Leprapatienten versorgt werden und nicht nach dem Spital wieder auf der
Straße landen müssen. Dennoch hat sich Ruth Pfau und ihr Team auch nach neuen
Betätigungsfeldern umgesehen und in den dunklen kleinen fensterlosen
Zimmern vieler Familien reichlich Arbeit gefunden. In Pakistan gibt
es viele behinderte Menschen, die vor der Gesellschaft wegsperrt
werden. Ich erfahre, dass ein Grund für die hohe Anzahl von Behinderungen durchaus in der üblichen Heirat innerhalb der Familien liegt.
Selbstgespräche
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Claudia Villani betreut eine psychisch kranke Patientin |
Zwei Familien teilen sich hier zwei Zimmer und einen kleinen Hof mit Stall. Es ist Vormittag und alle sind zu Hause. Arbeit ist hier Mangelware. Mit einem kleinen Hammer zerschlägt einer der Söhne im Hof alte kaputte Steckdosen und sammelt die winzig kleinen Kupferteile in einem zerschlissenen Plastiksack. Der Verkauf des Altmetalls ist seine einzige Chance auf ein paar Rupee für heute. Mehrmals erklären Claudia Villani, Ruth Pfau und eine weitere MALC-Mitarbeiterin die Medikamentengabe, dann geht es weiter zur nächsten Familie.
Weggesperrt
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Einer Familie mit vier behinderten Mädchen wird geholfen |
![Foto: Marcus Marschalek](https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEhekMhiMvM6RkeFwgyvI-uOhHupQhfy0ZI5hpBmYJiSPaq_kAERRTq1sotiRgwQIgDWy6wfOzmvN2mNtgvAfuf3Q4-H8w0CZBwoq5-YTjZdHE6IMmHzd6RrlBtK6afTVg3qF6pXmaXzFN8/s1600/gasse2.jpg)
Highway to hell
Zurück
geht es über den neuen Highway. Und der ist im Vergleich zu allen
anderen Straßen im Land wirklich eine Wohltat. Ihn haben aber auch
Millionen Flutopfer 2010 benutzt, um nach Karachi zu kommen, zu Fuß
und nicht mit dem Auto. Claudia Villani erzählt mir schreckliche
Geschichten. Alle waren mit der Situation damals überfordert. Überall
schwache und sterbende Menschen. Millionen Flüchtlinge seit Tagen
ohne Nahrung und sauberes Wasser. Beim Verteilen der wenigen
Hilfsgüter, anbetracht der Menschenmengen, kam es zu heftigen
Tumulten. Claudia entdeckte ein fast verdurstetes kleines Kind, zu
schwach um noch zu Schlucken. Die einzige Chance auf Rettung, eine
Infusion im nahen öffentlichen Spital. Ein Kampf um Minuten beginnt.
Doch im staatlichen Spital muss man die Medikamente zuvor an der
Apotheke selber kaufen. Das Organisieren von ausreichend Geld und das
Anstellen in der Schlage vor der Apotheke waren dann genau die Minuten zu viel. Das
Mädchen starb. Situationen, die man sein Leben lang nicht mehr aus
dem Kopf bekommt.
Geächtet am Fluss
DIe Situation hat sich gewandelt. Viele Slumbewohner haben nun eigene kleine Häuser |
Projektkoordinatorin dort ist Aqsa Enwea, eine kluge tatkräftige Frau mit viel Mut. Sie erzählt mir von der Überzeugungsarbeit, die sie leisten musste, um die Situation zu ändern. Oftmals hat sie sich mit den Familien getroffen, musste diskutieren, wurde bedroht und beschimpft, gab aber nie auf. Heute führt sie mich stolz durch Kamissagoth. In der Mitte der kleinen Siedlung steht nun eine mehrstöckige Schule. Die kleinen Häuser sind gepflegt, die Höfe und Gassen der ehemaligen Slumfamilien gefegt. Müll findet man hier kaum mehr. Viele ehemalige Flussfamilien haben hier ein neues Leben begonnen und viele sogar Arbeit gefunden. MALC hat hier ein sehr umfassendes Programm gestartet. Medizinische Betreuung, Zugang zu Bildung, Verbesserung der Wohnsituation, Kurse in Hygiene, Familienplanung für die Erwachsenen.
Aus den geächteten Hindus am Fluss, die Ärmsten von den Armen, wurde eine achtbare Gemeinde, die mir voll Selbstbewusstsein ihre Häuser zeigt. Und Aqsa Enwea, selbst Katholikin, bemüht sich sehr um religiösen Dialog. Mittlerweile gibt es in der Schule auch Muslime und Christen. Die medizinische Anlaufstelle in Kamissagoth und das Nahrungsprogramm wird ebenfalls von allen Religionen gemeinsam genützt. In der Früh beten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ebenfalls verschiedenen Religionen und Konfessionen angehören gemeinsam. Aus jeder Religion wird ein heiliger Text vorgelesen. Dann geht es an die Arbeit für die Menschen in Kamissagoth.
Erster Teil: Bei Ruth Pfau in Pakistan
Zweiter Teil: Pünktlichkeit und deutscher Humor in Pakistan
Dritter Teil: Erfolgsgeschichte: Slumbewohner werden Bürger von Kamissagoth