Sonntag, 31. Juli 2011

Affentanz nach Insektenbiss 4/4 - Reisebericht Dominikanische Republik


Reisebericht aus der Dominikanischen Republik Teil 4/4


Ich erfahre, dass es im „Parque Nacional Del Este“ noch eine zweite große Höhle gibt. Angeblich etwa zwei Kilometer von der ersten Höhle entfernt. In Erinnerung an die Mückenstiche trage ich diesmal NoBite auf. Offensichtlich ein Geruch der zwar die Gelsen abhält, aber dafür die „Erdwespen“ aggressiv werden lässt. Kaum bin ich zwischen den Sträuchern - ich wollte einen Krebs fotografieren - stürzen sich fünf dieser bösen Insekten auf mich und beißen, bis ich aufschreie. Nach einem ersten Schock, einem Affentanz durch den Busch und betasten meiner Beulen entschließe ich mich, dennoch weiter zu laufen. Doch mein Weg wird immer unpassierbarer, bis ich Angst habe den Rückweg in der Dämmerung nicht mehr zu finden. Im Gras, dass mir bis zum Hals reicht, gebe ich auf. Zwei Tage lang erinnern mich die noch immer schmerzenden Insektenbisse an meine missglückte Expedition.

Mamajuana heilt, was immer dich quält“

Doch auf Hispaniola gibt es für alle Probleme ein Hilfsmittel.Mamajuana heilt, was immer dich quält“ so zumindest der Glaube der hier lebenden Menschen. Die Hotelbar hat jedenfalls genügend Flaschen dieses äußerst bekömmlichen Getränks auf Lager und so wird es zum täglichen Pflichttermin, zusammen mit anderen Hotelgästen, vor und auch mehrfach nach dem Essen Gläschen von diesem Wundermittel auf Wermutbasis einzunehmen.

Turbulenter „Flug“ über das Meer

Ein kurzes Aufheulen der Motoren und schon ragt der Bug zwei Meter aus dem Wasser. Jetzt weiß ich, warum diese Art von Schiffen Speedboot genannt wird. Mehr im Flug als im Fahren erreichen wir Saona, eine kleine Insel, die im Osten der Dominikanischen Republik vorgelagert ist. Wobei der Flug eher an eine Reise mit vielen Turbulenzen erinnert. Vor allem die großen Wellen bringen das Boot immer wieder zum Abheben, um danach mit voller Wucht auf dem Wasser hart aufzuschlagen. Der Bootsführer hat an den ängstlichen Gesichtern der Fahrgäste seine Freude. Außerdem steht er hinten, während vorne das Boot stetig zwei bis drei Meter auf und ab wogt. Zum Abschluss, kurz vor dem Anlegen an einem wunderschönen Strand, gibt es als Draufgabe noch scharfe Kurven so, dass wir seitwärts ein bisschen Wasser fassen. Was ist weißer? Der fein geschliffene Korallensand, oder die Gesichter der Reisenden? Ich glaube es war unentschieden.

Wieder beruhigt gehen wir schnorcheln. Es war uns schon vorher klar, dass man in der Karibik nicht die Fische des roten Meeres finden kann. Was hier den Fischen an Farbe fehlt, schillert das Wasser umso grüner und blauer. Zurück geht es dann mit einem großen Katamaran. Zwar dauert die Rückfahrt vier Mal so lange, ist aber um einiges entspannter. Lateinamerikanische Rhythmen und ausreichen Rum in der Abendsonne machen die Fahrt zu einem Erlebnis.

Was wir sonst noch so gemacht haben?

Schlafen, essen und Bachata tanzen.

Donnerstag, 28. Juli 2011

Ruderpartie - 3/4 - Reisebericht Dominikanische Republik


Reisebericht Dominikanische Republik Teil 3/4

Nach einigen Verhandlungen sitzen wir in einem Boot und werden von Manuel den Yuma-Fluss hinauf gerudert. Eine tolle Landschaft zeigt sich uns, doch auch die Nachteile der Zivilisation. Der Fluss transportiert viel Müll von der Provinzhauptstadt Higüey bis ins Meer. An bestimmten Stellen sammelt sich all das Plastik, alte Schuhe, Gewand und bildet einen dichten Müllteppich. Die Einheimischen scheint das nicht zu stören, eher im Gegenteil: Plastik ist für sie das Zeichen, dass auch sie in der modernen Welt angekommen sind und so entsorgt auch unserer Fischer seine Plastikflaschen in die Natur. 

Zugemüllt

Unbedingt will er uns noch den „Stolz“ des Dorfes zeigen. Wir gehen an mehreren Gärten vorbei um zur „Playa Blanca“ zu gelangen. Ein Bilderbuchstrand, wäre hier nicht wie im Fluss so viel Müll, das vom weißen Sand nichts mehr zu sehen ist. Die Frage, ob wir hier baden möchten, verneinen wir dankend, dass wir den Müll nicht so hübsch finden, kann Manuel nicht wirklich verstehen. Der viele Abfall, achtlos in die Landschaft gekippt, trübt unser Bild von dem „romantischen“ Fischerdorf. Pluspunkte von unserer Seite gibt es dann erst wieder für das wunderbare Mittagessen. Wir verspeisen zwei große Langusten und es hätten ruhig auch drei sein können.
Nach einem Rundgang durch einige Straßen des Dorfes zeigt uns Manuel noch eine Höhle am Rand des Dorfes. Im Urlaub scheint die Zeit doppelt so schnell zu vergehen, das letzte Sammeltaxi für heute, gegen 17 Uhr, müssen wir unbedingt erreichen. Dank schnellen Schrittes und einer kurzen Sprintstrecke klappt das dann auch und wir fahren wieder Richtung Bayahibe.

Ein Wunder

Und jetzt geschieht für mich das „Tageswunder“. Mein Handy wurde in einem der Guaguas gefunden, in Bayahibe abgegeben und in einem Safe sicher verwahrt, morgen soll ich es gegen 9.00 Uhr gegen einen kleinen Finderlohn abholen, erzählt mir einer der Sammeltaxi-Fahrer. Und alle versichern mir, so etwas sei hier noch nie vorgekommen. Was hier nicht niet und nagelfest ist wird in der Regel mitgenommen und nicht mehr zurückgegeben.

Und hier noch eine kleine beinahe Verlustgeschichte. Petra hat ihren Schnorchel im Wasser verloren, leider an einer Stelle, wo die Wellen den feinen Sand derart stark aufwirbeln, sodass die Sicht zum Meeresboden nicht gegeben ist. Noch dazu hat der Schnorchel ein nicht gerades vorteilhaftes „transparentes“ Design. Doch die Insel verliert nichts! Am nächsten Tag lag der Schnorchel am Strand.

Dazu passt auch noch das dritte „Wunder“: Die Pool-Handtuchkarten vom Hotel, sonst immer ein Stress bei der Rückgabe am letzten Tag, weil mindestens eine fehlt, haben sich hier auf Hispaniola wundersam vermehrt. Aus drei wurden elf. Wie das gelungen ist bleibt uns ein Rätsel!

Fortsetzung bei Teil 4

Montag, 25. Juli 2011

Santo Domingo 2/4 - Reisebericht Dominikanische Republik


Reisebericht aus der Dominikanischen Republik Teil 2/4 
Langsam gewinnen wir Routine. Das ¡Hola! kommt uns schon wie von selbst über die Lippen. Und mutig strecken wir die Hand aus, um einen dieser kleinen weißen Busse, einen sogenannten „Guagua“ aufzuhalten. Zwölf Personen haben in so einem Bus Platz, mit weniger als achtzehn Personen fährt der Fahrer aber gar nicht erst ab. Hat man das System einmal durchschaut, ist es genial. Die Guaguas dienen als Verbindungen zwischen den kleinen Dörfern und sind Zubringer zu den Schnellbussen zwischen den Städten. Dreimal umsteigen und wir haben es vom Dominicus Beach über Bayahibe nach La Romana und von dort mit dem Schnellbus in die Hauptstadt Santo Domingo geschafft, immer begleitet von dröhnenden Bordradios, die abwechselnd Bachata oder Merengue Rhythmen meist in minderer Tonqualität von sich geben.

Musik immer und überall

Musik ist hier auf der Insel fester Bestandteil des Alltags. Supermärkte, Kaffees und Busterminals, sie alle haben große Lautsprecher auf die Straße gerichtet und beschallen alles im Umkreis von hundert Metern. Dazwischen gibt es aber auch noch andere Schallquellen. „Moderne“ Dominikaner haben ein Handy mit Radio oder Musikplayer-Funktion und beglücken mit voller Lautstärke ihre Umgebung. Jeder der hier etwas auf sich hält, singt laut mit, so auch die Fahrgäste im Bus neben mir. Perfekt ist es aber erst dann, wenn man auch noch richtig dazu wippt und ein paar flotte Tanzschritte aufs Trottoir legt. Früh übt sich wer ein echter Meister werden möchte. Auf der Straße sehen wir ein paar Buben die eifrig Tanzschritte und den richtigen Hüftschwung üben.

Touristenpfade und abseits davon

Wir schlendern durch die Calle El Conde in der Altstadt von Santa Domingo, besichtigen die Catedral Primade de America und mit Hilfe von „Dumont“ und „Baedecker“ ein Duzend alter historischer Gebäude. In einer Nebengasse finden wir ein tolles Restaurant und leisten uns den Luxus eines fürstlichen kreolischen Mittagsmahles. Den Nachmittag verbringen wir abseits der Touristenpfade und beobachten das hektische Treiben in den Einkaufsstraßen der Stadt, bis wir uns auf den Weg machen zum Parque Enriquillo. Hier haben fast alle Busse in die verschiedenen Teile des Landes ihre Abfahrtsterminals. Tausende Menschen wuseln durcheinander. Dazwischen Chauffeure, die um Fahrgäste zu werben, laut ihre Zielstadt rufen. Wir finden den für uns passenden Bus und Julia erregt Aufsehen bei den Straßenverkäufern. Bereits im Bus, bekommt sie durchs Fenster Geschenke überreicht: Zuckerstangen und einen Maiskolben.

Eine etwas unfreiwillige Rundreise

Eigentlich haben wir nur ein Hotel für vierzehn Tage gebucht, dennoch habe ich den Eindruck wir hätten eine kleine Rundreise gemacht. Schwachpunkt hier scheint der Kampf gegen die Feuchtigkeit zu sein. Unser erstes Hotelzimmer im Hotel Wyndham Dominicus war an „Muffelgeruch“ und Einfachheit nicht zu überbieten, ein Ersatzzimmer im Hotel nicht verfügbar. Also ging es einen Kilometer Luftlinie weiter in das Hotel Be Live Oasis. Optisch war hier das Zimmer gleich viel ansprechender doch auch hier haben Feuchtigkeit und Bakterien ganze Arbeit geleistet. Kissen und Decke wollte man nicht nahekommen und die Klimaanlage hat eher stinkende Luft als Kälte verströmt. Zum Glück fährt man wegen dem Strand und nicht wegen dem Zimmer in die Karibik. Und der Strand wir hier wirklich allen karibischen Klischeebildern gerecht! Das Zimmer haben wir also nochmals gewechselt, aber nicht ohne zuvor mehrere Räume des Hotels zu inspizieren. Nachdem wir uns dann Decken und Polster aus verschiedenen Zimmern zusammengesucht haben und uns für einen Raum ohne Fäulnisgestank entschieden haben sind wir dann auch in diesem Urlaub sesshaft geworden. Aber ohne Übertreibung, das war ein schönes Stück Arbeit!

Die Insel verliert nichts!

Boca de Yuma ist ein kleines Fischerdorf im Osten der Dominikanischen Republik und unser heutiges Ziel. Nachdem uns der Selbstbehalt bei der Versicherung für ein Mietauto mit 1200 € doch etwas übertrieben hoch scheint, entscheiden wir uns wieder für die Guagua-Colectivos. Hier kommt man wirklich mit den Einheimischen in Berührung, im wahrsten Wortsinn. Dumm nur, dass bei all der Enge und dem Gerüttel mein Handy aus der Hosentasche fällt. Gemerkt habe ich es erst, als der Mini-Bus schon längst außer Sichtweite war. Einheilige Meinung der Familie: „Verabschiede dich von dem Handy“ (Und das ist leichter gesagt als getan, denn ich hatte noch nie so ein tolles und auch teures Gerät!)

In Boca de Yuma eilen uns gleich mehrere Fischer entgegen und überbieten sich mit Angeboten für Bootsfahrten, Strandbesichtigungen, Mittagessen und Höhlentour. Scheinbar wird hier nun mehr nach Geld als nach Meerestieren gefischt.

Fortsetzung bei Teil 3

Freitag, 22. Juli 2011

LOST auf Hispaniola 1/4 - Reisebericht Dominikanische Republik




Reisebericht aus der Dominikanischen Republik Teil 1/4 

Endlich Urlaub und das heißt auch Zeit zum DVD schauen. Wir sind der TV-Serie „LOST“ verfallen und es ist so wie mit jeder Serie. Kaum hat man zwei oder drei Folgen auf DVD hintereinander gesehen, haben einen die „Cliffhanger“, die offenen Fragen am Ende von 45 Minuten Folgen-Länge fest im Griff. Wir wollen unbedingt wissen, wie es weiter geht.
Für alle die diese, in den letzten sechs Jahren gelaufene Serie nicht gesehen haben: Es geht bei „LOST“ um Überlebende eines Flugzeugabsturzes auf einer Insel.

Auch wir sind mittels Flugzeug, zwar kontrolliert und sanft aufgesetzt, aber ebenfalls auf einer Insel gelandet, auf Hispaniola, im dominikanischen Teil. In Österreich eher unter „Domrep“ bekannt und fest mit der Assoziation Sonnen-Grillstation für Hausmeister verbunden.

Es gibt aber auch andere Bilder. Zum Beispiel endlos lange, scheinbar unberührte, karibische, weiße Sandstrände. Auf so einem bin ich gerade joggend unterwegs und ein kleiner Pfad, mitten in die Natur hinein, erregt meine Aufmerksamkeit. Und jetzt kommt wieder „LOST“ ins Spiel. Gerade habe ich noch die spannend umgesetzten Bilder auf DVD gesehen, schon bin ich „live“ im Dschungel auf einer Insel. Wüsste ich nicht, dass „LOST“ auf Hawaii gedreht wurde, ich meinte ich stünde am Film-Set.

 

Die Gefahr kommt aus der Luft

Der Buschwald dampft, Vögel, Grillen und anderes Getier überbietet sich im Lärm machen. Auf dem Boden Tausende von Erdwespen, die ihren wild verschlungenen Flugbahnen folgen. Ich frage mich, ob Erdwespen stechen oder beißen können und ob nicht ein Zusammenstoß mit einer dieser Wespen unausweichlich sei? Doch die wirkliche Gefahr kam von viel kleineren Flugobjekten. Fast unsichtbare Mücken attackierten mich beinahe unbemerkt mit ihren Saugwerkzeugen und zwei Tage später war jeder ihrer Landepunkte auf meiner Haut eine kleine rote juckende Beule. (Dass es auf Hispaniola auch Malaria gibt, erfahre ich erst jetzt, mal sehen ob sich das Fieber noch einstellt.)

Ab und zu verzweigt sich mein Weg, meist in noch unscheinbarere, beinahe gänzlich verwachsene Pfade hinein in dieses feuchte Buschland, das links und rechts von mir drei, vier Meter emporragt.

Eine halbe Stunde laufe ich so durch den „Parque Nacional Del Este“, als ich mitten im „Niemandsland“ Stimmen zweier Männer höre. Die „Anderen“ aus „LOST“? Und plötzlich stehen sie vor mir, mit zwei riesigen Macheten und zwei Leinensäcken. Eine Schrecksekunde auf beiden Seiten. Ich frage mich, was diese Männer hier machen und die wundern sich wahrscheinlich über einen „Verrückten“, der hier bei über 30 Grad durch den feuchten Buschwald joggt.

Ein paar Meter, nach der für mich etwas bedrohlich wirkenden Begegnung fällt mir auf, dass es hier sehr intensiv nach Hanf riecht, vor allem immer wieder dort, wo die unscheinbaren Trampelpfade abzweigen. Ich bleibe also lieber auf dem Hauptweg, der diesen Namen eigentlich nicht so ganz verdient. Lange Zeit geht es zwar verschlungen, aber eben dahin und dann stehe ich vor ehemaligen Brandungsfelsen. Vor Tausenden Jahren war hier ein Ufer. Unter mir ist poröser Muschelkalk, das Regenwasser hat tiefe Löcher ins Erdinnere gefressen. Immer wieder sieht man Krater von eingestürzten Hohlräumen. Und dann sehe ich eine alte Brandungshöhle. Ein paar Meter taste ich mich ins Finstere vor, Fledermäuse flattern mir ins Gesicht, dann stehe ich in kompletter Dunkelheit. Ohne Licht ist hier kein weiteres Fortkommen. Das heißt Rückzug und ein erneuter Vorstoß am nächsten Tag, dann aber ausgerüstet mit Taschenlampe.

Eine verborgene Welt unter Tag

Petra und Julia sind durch meine Schilderungen neugierig geworden. Wir brechen am nächsten Tag zu dritt auf, um die Höhle zu erforschen und sind überwältigt. Ich habe eine kleine Brandungshöhle vermutet, was sich uns aber zeigt, ist ein ehemaliges riesiges unterirdisches Flussbett. Durch die Decke ragen dicke Wurzeln herein. Hin und wieder schimmert ein schwaches Licht durch ein Loch in der Decke. Wir wagen uns immer tiefer in die Höhle vor. Hunderte Fledermäuse umkreisen unsere Köpfe, schreien aufgeregt. Nach einer halben Stunde entdecken wir eine Abzweigung in einen zweiten riesigen Bereich der Höhle. 

Hier gibt es unzählige Tropfsteine und einen aus Stalaktiten und Stalagmiten geformten „Wasserfall“ und ganz weit hinten, meinen wir ein schwaches Licht zu vernehmen. Als wir dort angekommen sind, stehen wir in einem riesigen eingebrochenen Bereich. Steil gehen die Felswände etwa zwanzig Meter hinauf zum Tageslicht. Ohne Seil kann man diesen Ausgang nicht benützen. Wir merken aber, dass es draußen langsam dunkel wird und wir noch den langen Weg zurück durch den Buschwald bis zum Meer vor uns haben. Eineinhalb Stunden später sind wir am Strand angekommen, das letzte Tageslicht entschwindet, die dunkle Nacht und fast drei Kilometer Strandmarsch liegen noch vor uns. 
Fortsetzung bei Teil 2 

Montag, 23. Mai 2011

Vertraut und neu - Spurensuche jüdischen Lebens in Wien


Ich bin unterwegs für das ORF TV-Magazin "Orientierung" auf den Spuren jüdischen Lebens in Wien. Ein Rundgang durch die Leopoldstadt als Hintergrundrecherche. Dazu eingeladen hat der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Eigentlich ist mir hier alles vertraut. Acht Jahre bin ich täglich mit dem Fahrrad durch den zweiten Bezirk in die Vereinsgasse zur Schule gefahren. Dreißig Jahre später fällt mir hier eine neues Selbstbewusstsein der jüdischen Bevölkerung auf. Es ist selbstverständlicher geworden sich als Jude zu zeigen. Männer eilen in dunklen Mänteln und mit Hüten geschäftig durch die Gassen. Viele Kinder sind gekleidet wie kleine Erwachsene und die Burschen am Spielplatz tragen fast alle eine Kippa.

Enteignet,vertrieben, ermordet.

Die Gassen und Plätze des zweiten Bezirks sind mit viel Leid der jüdischen Bevölkerung verbunden. Durch die Jahrhunderte begegnete man hier den Juden hauptsächlich feindlich. Enteignet,vertrieben, ermordet. 1624 wurde hier im Bezirk ein Ghetto gegründet, die Juden zusammengepfercht. An Stelle einer Synagoge wurde von Kaiser Leopold I. 1670 die Kirche in der Großen Pfarrgasse gebaut. Die Juden mussten alle Wien verlassen. Erst das Toleranzpatent 1782 von Josep II. schaffte Gleichberechtigung. Die Zahl der Juden im zweiten Bezirk wuchs wieder auf ein Drittel der Gesamtbevölkerung an. 1858 Einweihung des großen Tempels in der Tempelgasse. Nach dem ersten Weltkrieg war etwa 60.000 Menschen, die Hälfte der Bevölkerung in der Leopoldstadt jüdisch. 1938 brach dann der Antisemitismus wieder voll hervor. Warum tun Menschen soetwas einander an? Warum bestehen diese Konfliktmuster über Jahrtausende?

Wir gehen vorbei am jüdischen Theater in die Tempelgasse. Die Judenhasser haben ganze Arbeit geleistet. Nur noch vier mächtige rekonstruierte Säulen erinnern an den in der Reichskristallnacht im November 1938 zerstörten Tempel. Heute hat hier ESRA in einem Neubau Heimat gefunden. Das psychosoziale Zentrum ESRA wurde 1994 als Beratungs- und Behandlungszentrum gegründet und bietet den Überlebenden der NS-Verfolgung und deren Nachkommen Hilfe an. Auch werden jüdische MigrantInnen und deren Familien, in ihrem Integrationsprozess unterstützt.

Interesse am Dialog

Hinter einer unscheinbaren Tür in der Kleine Mohrengasse besuchen wir das „Sarah-Fogiel-Institut für Jüdische Studien“. Ruth Winkler, die Chefin hier, erklärt die Aufgabe des Instituts. Es geht um die Förderung der hebräischen Sprache und den Aufbau einer wissenschaftlichen Bibliothek mit Schwerpunkt Kultur und Geschichte der sefardischen Gemeinde Wiens. Unsere Gespräche kreisen um den jüdisch-nichtjüdischen Dialog. Frau Winkler erzählt, dass es vor allem die christlichen Pfarren sind, die sich für den Dialog interessieren und anfragen. Mehrmals im Monat werden daher Führungen und Vorträge organisiert.

Die "Stolpersteine" im Straßenpflaster weisen auf vergangenes jüdische Leben hin. „Koscherland“ und der „Koschershop“ sind zwei der zahlreichen Lebensmittelgeschäfte hier im Bezirk, die durch ihre Auslagengestaltung gut sichtbar Zeugnis vom gegenwärtigen jüdischen Leben ablegen. Auf unserem Rundgang erfahren wir von der jüdischen Autorin Alexa Weiss, dass rund 800 Familien in Wien traditionell koscher kochen. Mit Interesse verfolgt man innerhalb der jüdischen Gemeinde, dass viele Jüdinnen und Juden, nach einer Zeit der Entfremdung und Distanz von der eigenen Religion, wieder beginnen die Rituale und Gesetze einzuhalten. Oft scheinen gerade die Kinder sogar mehr in der jüdischen Tradition verwurzelt als ihre Eltern.

Hässliche Betonblöcke

Viele Einrichtungen hier im Bezirk sind nach außen hin aber kaum erkennbar. Manchmal zeugen Sicherheitsmaßnahmen wie Wachhäuschen mit Polizisten oder hässliche Betonblöcke auf der Straße davon, dass sich hinter der Hausfassade eine der 12 Synagogen oder eine Mikwa, ein rituelles Badehaus verbirgt. Einige dieser Synagogen sind nicht nur Orte des Gebetes, sonder Plätze, an denen man den ganzen Tag verbringt, Orte des Studiums, des Austausches aber auch der Freizeitgestaltung. Der Grund für die Betonblöcke ist übrigens der, dass niemand mit sprengstoffbeladenen Autos in die Häuser fahren kann. Ich glaube, dass eine künstlerische Gestaltung dieser Ungetümer ihrer Funktionalität keinen Abbruch leisten würde.

Auf unserem Spaziergang durch den Bezirk besuchen wir die Synagoge der "Bewegung für progressives Judentum Or Chadasch". Weltweit sind die progressiven Juden die größte Bewegung. In Wien sind sie jedoch nur eine „Minderheit der Minderheit“. Laut Selbstdefinition steht Or Chadasch für ein aufgeklärtes, tolerantes, zeitgemäßes und dennoch in weiten Bereichen traditionelles Judentum. Frauen haben hier die gleichen Rechte und Pflichten wie Männer. 

Gefilte Fisch

Gefilte Fisch, Oliven und koscherer Wein. Der Streifzug durch die Leopoldgasse macht hungrig. Bewirtet werden wir in der Tandelmarktgasse. Hier befinden sich die Räumlichkeiten des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Mehr als 50 Jahre schon bemüht sich der Verein um das gegenseitige Verständnis und den Abbau von Antisemitismus.

Willy Weisz und Markus Himmelbauer vom Koordinierungsausschuss diskutieren über das neue Selbstverständnis vieler jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger hier in Wien. Die jüdische Autorin Alexa Weiss bringt es dann für sich auf den Punkt: „In der dritten Generation nach der Shoah wollen viele vermehrt nach vorne blicken, nicht mehr nur über das erlittene Leid definiert werden. Aus einer aufblühenden Gegenwart heraus wollen wir Jüdinnen und Juden unsere Zukunft gestalten.“

Donnerstag, 28. April 2011

Reisebericht Skopje

Joe Cocker, Mikle Jackson und Tina Turner. Sie alle sind heute zu Gast in meinem Hotelzimmer. Ich habe die Ehre mitten in Skopje zu residieren. Und im Zentrum ist eben etwas los. Gleich vis-à-vis meiner Vollglaszimmerfront ist eine coole Rockbar. Besonders cool ist vor allem die Lautstärke der Musik, mit der halb Skopje und eben auch mein Zimmer bis weit über Mitternacht beschallt wird.
 Auch unter mir geben sich die Kellern jede Mühe, kein Geräusch auszulassen. Im angesagtesten Restaurant der Stadt wird nach Sperrstunde noch fleißig geputzt. Dabei wird jeder Sessel und Tisch mindestens zweimal verschoben. Die Heizungsrohre dienen dabei als Klangboten. Ich juble und sitze dabei hellwach im Bett!

Der Baustil: Kommunistischer als kommunistisch 
Mein Blick gleitet durch die Glasfront auf ein Betonmonument, das kommunistischer zu kommunistischen Zeiten nicht gebaut werden hätte können. Derzeit ist es ein Betonklotz. Wenn es fertig ist, soll es ein Alexander der Große Brunnen mit Wasserfall werden. Jedenfalls beherrscht der Klotz den gesamten Platz und die schlechte Stimmung zwischen Griechenland und Mazedonien. Ach, immer diese alten Geschichten von den Eroberern und wie sie bis heute für Verstimmung sorgen! (Griechenland will, dass Mazedonien seinen Namen ändert, sonst kein EU-Beitritt) Vielleicht hätte sich doch die orthodoxe Kirche durchsetzen sollen und hier eine große Kathedrale bauen sollen. Nicht viel hat gefehlt und das wäre vor ein paar Wochen auch tatsächlich geschehen. Grund und Boden, hier im Zentrum, hat die Kirche nämlich bereits vom Staat geschenkt bekommen. Einige Barrikaden und Sitzstreiks später, ist man von diesem Plan wieder abgerückt. Die Muslime wollten nämlich gleich daneben eine Moschee errichten und die Katholiken bestanden auch darauf nicht leer auszugehen. Man hätte eine Brücke über all die Bauwerke errichten müssen, damit man den Platz noch hätte queren können. Wie gesagt, wegen all der Streiks von sakralbaufeindlichen Mazedoniern, wurde aus all den „himmlischen“ Bauwerken dann doch nichts, zumindest ist das der derzeitige Stand der Dinge.
Gebaut wird hier aber dennoch wie wild. Das Stichwort dazu heißt Skopje 2014. Bis dahin werden hier alles wichtigen Gebäude um 200 Millionen Euro renoviert, oder auch neue gebaut. Ein bisschen Griechenland, ein bisschen Triumpfbogen aus Frankreich. Mir scheint, hier baut man Minimundus im Großen.

Nach Schlaf ringend 
Natürlich wird auch in meinem Hotel gebaut. Der hässliche Plattenbau bekommt eine neue Fassade im Gründerzeit-Stil. Aber muss das schon um 7.00 Uhr in der Früh sein? Dem nach Schlaf ringenden Gast bleiben also zwischen Sesselrücken und Presslufthammer knapp vier Stunden zur Erholung. Innen ist mein Zimmer aber top-modern! Roter Boden, braunorange Vorhänge mit 60er Jahre Muster, Designervase und Internet.
Ohne Stadtplan gehe ich durch die Straßen, verlasse mich auf mein Orientierungsgefühl und liege komplett falsch. Straßen haben hier an den Kreuzungen keine rechten Winkel, sondern driften nach Belieben auseinander. Ich glaube also ständige wo anders zu sein, als ich bin. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn Skopje ist im Kern zu Fuß durchaus bezwingbar.
Eigentlich gibt es zwei Skopjes, erklärt mit ein Albaner: „Den Teil der Mazedonier, dort wird eben gerade alles renoviert. Und dann gibt es noch den Teil der Türken und Albaner.“ Dort ist angeblich noch alles alt und kaputt. Getrennt wird das alles von Fluss Vardar.

Grenzen und Trennendes 
Warum nur lieben die Menschen Grenzen und Trennendes so sehr? Von der Außenposition betrachtet scheint vieles so einfach und die Lösung oft so simpel. Die Betroffenen quälen sich aber über Jahre und schlittern in immer größere Konflikte. Einer dieser Konflikte ist das Verhältnis zwischen Journalisten und Glaubensgemeinschaften in Mazedonien. Jeder beschuldigt - und so ist es meist bei Konflikten - den Anderen. Und dann kommen auch schon die Aufzählungen, wann und wo das Gegenüber schlecht recherchiert, falsch berichtet, unkorrekt gearbeitet hat. Zwei Tage schule ich Religionsoberhäupter und Medienvertreter im Umgang miteinander. Vor dem Seminarraum warten 25 Kameras und doppelt so viele Mikrophone. Da muss ich jetzt durch. Zehn Minuten stehe ich Rede und Antwort und werde fünf Stunden später sogar in den Haupt-Nachrichten gespielt. Tags darauf kennen mich viele aus dem Fernsehen! Wow! Überall höre ich: „Ich habe dich gestern gesehen“. Was ich gesagt habe? Die Meisten haben keine Ahnung mehr! Ich liebe das Fernsehen!
Übrigens haben die Mazedoniere dieses Jahr, zum großen Missfallen der orthodoxen Kirche, das Eierpecken entdeckt. Das Fernsehen hat groß darüber berichtet und dabei ganz auf die Botschaft von Ostern vergessen.
Über die „Steinbrücke“ kommt man vom Hauptplatz in den alten Teil der Stadt. Ein großer Basar mit echtem Flair, muslimisch, türkisch geprägt. Würde es jetzt nicht regnen, es wäre hier sehr gemütlich.

Rocklänge der Frauen: Kürzer ging es nimmer! 
Was wirklich Eindruck hinterlässt, sind die unzähligen Figuren und Skulpturen, die überall in der Stadt aufgestellt sind. Eindruck hinterlassen auch die hohen Stöckelschuhe der Frauen und ihre noch höheren Rocksäume. Kürzer ginge es nimmer! Mazedonier, Frauen wie Männer, dürften kein Temperaturempfinden besitzen. Es hat „heiße“ 12 Grad Außentemperatur, die sich für mich jedoch wie fünf Grad anfühlen. Dennoch sitzen alle in den Gastgärten im Freien.
Ich beende meinen Rundgang durch die City an unzähligen Shoppingcenter vorbei. Die Musik in der Bar gegenüber vom Hotel ist nun doch etwas leiser. Schon bald um 4.20 Uhr kommt mein Taxi zum Flughafen. Die Bauarbeiter morgen Früh werden mich also sicher nicht aufwecken, denn dann bin ich schon wach und über den Wolken.

Donnerstag, 17. März 2011

In Äthiopien gehen die Uhren anders

In Äthiopien gehen die Uhren anders. Der Tag beginnt um 6 Uhr in der Früh mit der ersten Stunde. Und selbst wenn man dann pünktlich ist, ist man noch immer um 8 Jahre falsch. Äthiopien schreibt zur Zeit das Jahr 2003.

Scan

Wie immer zittere ich etwas bei der Einreise wegen meines Equipments. Meine TV-Kamera ist einfach zu groß, um als Touristenkamera akzeptiert zu werden. Vor dem bürokratischen Aufwand als Journalist einzureisen haben mich Kollegen gewarnt. Also stehe ich vor der Zollkontrolle als Tourist und zu allem Übel geht mein Rucksack aus unerklärlichen Gründen nicht mehr ganz zu. Kabeln und Kamera sind gut sichtbar. Daneben habe ich noch in der Fototasche einen doppelten Satz Mikrophone mit Sendern und Empfängern, Stativ, Akkus und eine zweite kleine Kamera. Ich beginne etwas zu schwitzen als ich sehe, dass bei der Einreise alles nochmals genau gescannt wird. Ich stehe in einer langen Schlange und warte auf dem „Moment der Wahrheit“. Plötzlich fischt mich eine Äthiopische Zöllnerin aus der Reihe. „Nothing to declare?“ Ich schüttle instinktiv den Kopf, werde an den Scannern vorbeigeschoben und bin plötzlich ohne Scan eingereist. Manchmal gibt es doch glückliche Fügungen.

Am Flughafen wartet Getachew Aberra, der für Äthiopien verantwortliche „Licht für die Welt“ Mitarbeiter. Licht für die Welt ist eine Österreichische Hilfsorganisation die sich dem Masterplan Vision 2020 verschrieben hat. Weltweit soll bis zum Jahr 2020 kein Mensch mehr an einer heilbaren Augenkrankheiten erblinden. Besonderen Focus legt Licht für die Welt dabei auf Äthiopien. Mit dem Taxi geht es nach Addis Abeba. Überall wird gebaut. Die Baugerüste machen die Handwerker zu Akrobaten. Auf langen Stangen und wenigen Querbalken balancieren sie viele Stockwerke über dem Boden die Fassaden entlang.

Eines der weltweit ärmsten Länder macht auf den ersten Blick in der Hauptstadt einen für mich erstaunlichen Eindruck: Betriebsamkeit wo man hinschaut. Kaum Schmutz auf den Straßen und überall entsteht Neues.

Kontakt mit Esel

Beim Einsteigen in den alten Landrover fühle ich mich nicht gerade wohl. Hinten, quer zur Fahrtrichtung, wirft es einen bei jeder Lenkbewegung von links nach rechts. Und dann kleben wir alle auch schon an der Rückseite des Fahrersitzes. Zum Glück für uns funktionieren die Bremsen dieses alten Gefährts nicht mehr einwandfrei, sonst wären wir durch die Windschutzscheibe geflogen. Pech jedoch für einen Esel der sich uns als Hindernis mitten auf die Straße gestellt hat.

Wir, das sind eine Gruppe von Journalisten aus Österreich und ein paar Mitarbeiter von „Licht für die Welt“. Unterwegs sind wir von Addis Abeba nach Nekemte. 330 Kilometer Autofahrt, in Österreich ein Vergnügen auf der Autobahn, hier ist das ein Tagesprojekt. Auf der Straße sind tausende Menschen unterwegs, jedoch nicht mit Autos, sondern zu Fuß. Dazwischen Kühe, Ziegen, Pferde und Eseln. Einer von den Eseln hat nun nach der Begegnung mit unserem Landrover ein paar blaue Flecken.

Schlamm

Solange die Straße asphaltiert ist, geht es dennoch rasch vorwärts. Für die ersten 150 Kilometer benötigen wir drei Stunden, vorbei an unzähligen Gewächshäusern, in denen Schnittblumen für Europa gezogen werden. Dann aber wird es mühsam. Chinesische Firmen haben hier viel Land gekauft und bauen die alte Straße zweispurig aus. Offensichtlich haben die Planer dieser Bauarbeiten nicht mit Regenwetter gerechnet, denn seit gestern verwandelt sich diese 150 Kilometer lange Baustelle in einen große Schlammfläche. Und es beginnt erneut heftig zu regnen. Unser Fahrer macht sich Sorgen. Das Auto schwimmt mehr auf der Straße als dass es fährt. Nach einigen Kilometern driften, rumpeln und vielen blauen Flecken, stoppen wir in einem kleinen Dorf vor einer temporären Augenambulanz.

Augenuntersuchung

Die Sonne geht schon fast unter und noch immer warten hunderte Menschen auf eine Untersuchung. Für viele wird der oft weite Fußweg hier her zur Augenambulanz wohl umsonst gewesen sein. In einem kleinen Zimmer operiert eine Ärztin gerade eine ältere Patientin, daneben werden andere Personen untersucht, Schreibarbeiten erledigt. Für europäische Maßstäbe sind die hygienischen Bedingungen hier unvorstellbar. Tapfer liegt die alte Frau auf dem „Operationstisch“ und befolgt genau die Anweisungen der Ärztin. Durch immer wiederkehrende Entzündungen sind bei ihr Vernarbungen der Bindehaut entstanden. Dadurch beginnt sich das Augenlied einzuklappen und die Wimpern scheuern auf der Hornhaut. In einem schmerzhaften und langwierigen Prozess werden die Menschen dabei langsam blind. Bei der Operation wird ein Teil des Augenlieds entfernt, sodass die Wimpern nicht mehr auf der Hornhaut schaben können. Medikamente helfen gegen die Infektion. Nach zwanzig Minuten ist die Operation beendet. Rasch ist das Auge verbunden und schon nimmt die nächste Patientin Platz auf der Liege. Zwischen all den wartenden Patienten entdecke ich Pastor Kes Asfaw Terfassa von der Ethiopian Evangelical Church Mekane Yesus. Er organisiert diese temporären Augenambulanzen hier, fährt nahezu täglich mit seinem Team in die Dörfer um Menschen zu untersuchen.

Er bittet uns einige Patienten nach Nekemte mitzunehmen. Grauestar-Operation zum Beispiel können nicht in den Ambulanzen durchgeführt werden. Dazu müssen die Patienten in die Augenklinik in Nekemte gebracht werden. Eigentlich hatte ich bereits das Gefühl, dass unser Landrover mit sechs Personen voll besetzt ist. Als wir selbst nach längerem Schlichten nicht alle weiteren Fahrgäste unterbringen können, wird ein zweites Auto organisiert. Dennoch, der Platz bleibt eng. Alle sind mehr oder weniger ineinander verkeilt, was zwar den Sauerstoffgehalt im Jeep herabsetzt aber auch die Anzahl der blauen Flecken reduziert.

Dirty Road

Weil ich mit Pastor Kes Asfaw Terfassa ein Interview machen möchte und er das zweite Auto fährt, sitze ich nun auf seinem Beifahrersitz. Ein tolles Privileg, denn die nächsten sechs Stunden werden wirklich mühsam. 150 Kilometer auf einer mehr als „dirty“ road! Der Regen wird immer stärker und tiefschwarze Nacht umgibt uns. Plötzlich mitten auf der Straße große Steine. Bei uns in Österreich ein Grund vor diesem Hindernis rechtzeitig zu warnen, sind sie hier selbst Zeichen der Warnung. Vor uns rutschen LKWs die Straße herunter. Der Schlamm wirkt wie spiegelglattes Eis. Einmal im rutschen, kann so ein Tonnen schweres Gebilde nicht mehr gestoppt werden. Kreuz und Quer sind die LKWs nun zum Stillstand gekommen. Eine Durchfahrt auf der „Straße“ aber nicht mehr möglich. Wir springen aus dem Auto in den knöcheltiefen Morast. Hier zu Übernachten scheint wenig attraktiv. Mit Schaufeln beginnen nun die LKW-Fahrer links den Hang zu bearbeiten und einen Graben zuzuschütten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir über diesen „Ersatz-Weg“ an den Hindernissen vorbeikommen können.

Eine Stunde später gibt Pastor Terfassa Vollgas. Wir schlittern, graben uns mit den Rädern etwas ein und driften dann doch heil an den LKWs vorbei. Unser mühsamer Weg lässt mich verstehen, warum die Menschen aus ihren Dörfern kaum zu den wenigen Kliniken in den Städten kommen können und der Pastor dieses Hilfsprojekt ins Leben gerufen hat. Er beginnt mir zu erzählen, dass Blindheit in Afrika nahezu ein Todesurteil ist. Die Menschen können nicht mehr arbeiten, finden sich nicht mehr zurecht, verarmen mit ihren Familien.
Ärztemangel

Für sein Projekt der sogenannten Outrech Center, den temporären Ambulanzen, benötigt er dringend einen neuen Augenarzt. Er kann nur wenig zahlen und die wenigen Augenärzte in Äthiopien unterliegen oft der Versuchung mit privaten Ordinationen wesentlich mehr Geld zu verdienen. Auch gehen viele nach dem Studium ins Ausland. Am liebsten würde der Pastor sich einen europäischen Arzt wünschen, der hier ein paar Monate freiwillige ordiniert. „Warum keinen Äthiopischen Arzt“, frage ich. Wir diskutieren über soziales Engagement und wie in der Gesellschaft ein Bewusstsein füreinander entstehen kann. Unterm Strich ist es für Terfassa die Versuchung wo anders wesentlich mehr Geld zu verdienen, die viele vor einem sozialen Engagement abbringt.

Zwei Stunden später sind wir endlich in Nekemte. Fast zehn Stunden durchschütteln liegen hinter uns. Im Hotel ist bereits alles finster. Nach längerem Hupen öffnet uns dann doch der Nachtwächter. Beim Aussteigen aus dem Auto bemerken wir, dass aus dem weißen Pickup ein komplett brauner geworden ist und zwar bis zum Dach, wo unser Koffer festgezurrt sind. Wir schleppen unsere Sachen ins Zimmer und denken voll Sorge an das Personal, das morgen unsere Schlammspuren wieder beseitigen muss.

Mehrere Zeiten

Kaputte Duschen, schiefe Fließen, schmutzige Böden und auch nicht gewechseltes Bettzeug fallen dem freundlichen und bemühten Hotelpersonal nicht auf. Hier in Äthiopien scheinen die Menschen aus unterschiedlichen Jahrhunderten dicht nebeneinander und miteinander zu leben. Moderne Stahlbetonbauten neben Lehmhütten, Allrad-Autos neben Eselskarren, Lehmboden neben Federkernmatratze. Während wir Europäer schwere Koffer und Taschen in unsere Zimmer schleppen, benötigen die Patienten die mit uns im Hotel übernachten nur ein kleines Sackerl für ihr Hab und Gut.

Nachdem Frühstück bemerke ich, dass einer der Patienten komplett blind ist. Seit 16 Jahren hat ihm der Graue-Star das Augenlicht geraubt. Er möchte nun endlich ein Familie gründen, eine Frau heiraten, erzählt er mir und hofft auf eine positiv verlaufende Operation. Ich halte ihn für einen alten Mann und bin erstaunt, denn im Gespräch erfahre ich, dass er erst Mitte 30 ist. Begleitet wird er von einem sechzehnjähriger Bursch aus dem selben Dorf. Seine Diagnose ist ebenfalls Katerak, Grauer Star, jedoch nur auf einem Auge. Mit dem anderen sieht er ganz gut. Seine beruflichen Träume sind zu studieren, um Augenarzt zu werden.