Selten hat man sich ein Ende so sehr herbeigesehnt, wie in der Burgtheaterproduktion “Dies Irae - Tag des Zorns”, denn das Ende kommt und kommt nicht. Ständig wird vom drohenden Untergang gesprochen, doch es dauert dann zwei lange Stunden, bis der Vorhang endlich fällt. Alexander Kerlin, Kay Vores und Paul Wallfisch haben eine Rockoper geschaffen, in der es um den Moment zwischen Sein und Nicht-Sein geht, um die Sekunde vor dem Aufprall. In der Theorie scheinen sich die drei Künstler das sehr gut ausgedacht zu haben. Als Zutaten für ihren Opus haben sie spannende Zitate und kurze Texte quer durch die Menschheitsgeschichte ausgewählt und alles mit eindringlicher Musik unterlegt.
Auch mit Symbolik haben sie nicht gespart. Die ganze Bühne dreht sich unaufhörlich, wie das Rad der Zeit. Schauspielerinnen und Schauspieler müssen sich in ihren Figuren durch den sich bewegenden Raum kämpfen. Und bei jeder Umrundung spült die Bühne neue Gestalten und Symbole ins Publikum. Ein sich geißelnder Mann, Soldaten, ein Gefangener mit Sack über dem Kopf, ein Ministrant mit Weihrauchfass. Es scheint, dass auf dieser Bühne alles Platz gefunden hat, was bei einem Rundgang durch den Fundus der Bundestheater nicht niet- und nagelfest war. Man möchte aber den Produzenten nicht Willkür unterstellen.
Sicherlich steckt viel Diskussion und Überlegung in der Wahl der Symbole und der Gliederung der Texte. Dem Zuschauer erschließt sich das im Moment des Vorbeischwappens aber nicht. Doch damit nicht genug. Die rotierende Bühne muss zusätzlich noch fast alles aufnehmen, was im modernen Theater seit fünfzehn Jahren hipp ist. Sänger, Musiker, Blut, nackte Haut, Videokameras und vor allem Leinwände. Auf drei Leinwände wird ununterbrochen live projiziert, was sich an verborgenen Winkeln der Bühne gerade ereignet. Ein Overkill an Eindrücken! Selbst an Second-Screens gewöhnte moderne Medienjunkies sind, ob der multimedialen Fülle, vermutlich schnell an ihren Grenzen.
Dabei würde das Thema doch gerade jetzt gut passen - Wirtschaftskrise, Glaubenskrise, Klimakrise, es geht spürbar bergab. Aber war das nicht immer schon so? Zeichen für den Weltuntergang, mit ihren dazugehörigen Propheten, gab es in allen Zeiten. Vielleicht braucht es das Angesicht des Endes, um im Jetzt gut zu leben?
Für sich alleine sind die einzelnen Teile von Dies Irae durchaus interessant inszeniert, bedacht und umgesetzt. In der Summe erschlägt das Werk aber nach kürzester Zeit. Und die Dramaturgie setzt noch eins drauf! Zum Beispiel scheinen die drei Videoscreens nicht zu reichen und es wird eine weitere Videoprojektion additiv über die ganze Bühne gelegt. Spätestens jetzt verliert man im Publikum die Orientierung und die elektronische Verstärkung der Stimmen macht es einem gar nicht leicht zu erkennen, wo denn die Figur steht, die gerade spricht und agiert. Die Lichtregie ist dabei auch keine Hilfe und fokussiert so gut wie nie. Schlecht zu lesen sind auch die gelben Schriften in den Videos. Die Asynchronität von Bild und Ton durch die Liveschnitt-Verzögerung ist ein weiterer Ablenkungsmoment. Überforderung. Überforderung. Überforderung!
Nach kurzer Zeit sieht man sich im Publikum selbst als die Figur, die in der anfänglichen Filmmontage durch den Raum auf ihr Ende stürzt: Orientierungslos, ausgeliefert und kurz vor dem ultimativen Sinnes-Crash. Hier lenkt alles voneinander ab. Und in dem Moment, wo man sich dem Rausch der Sinne versucht hinzugeben, sich nicht mehr um Verstehen, sondern Empfinden bemüht, kommt dann das erlösendes Ende. Die Gestalter haben zu viel gewollt, ins Volle gegriffen und damit leider nur wenig erreicht. Diesmal keine Empfehlung.
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