Bei den Schloss-Spielen in Kobersdorf steht heuer “Der Zerrissene” von Johann Nestroy auf dem Programm. Auf der Bühne geht es um spannende Charaktere, die alles etwas wollen, was sie im Augenblick aber nicht haben. Und dann geht es auch noch um Erbschleicherei. Fazit: Geld macht verführerisch aber nicht glücklich. Joschi Kirschner hätte noch ergänzt, “aber man soll rechtzeitig drauf schaun, dass man’s hat, wenn man’s braucht”.
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Gluthammer und Gutsverwalter Krautkopf. Foto: ORF |
Da gibt es einen Schmied namens Gluthammer, dargestellt von Wolfgang Böck, der Eisengitter montieren und Hämmer schwingen soll. Doch Gluthammer träumt vom Modegeschäft und der süßen Liebe zu Madame Schleyer. Dann gibt es einen gelangweilten Kapitalisten namens Lips, gespielt von Fritz Hammel, der gerne alles wäre, nur nicht reich, denn er spürt das Leben nicht mehr. Und dann tritt auch noch Kathi auf die Bühne: Brav und bieder, dargestellt von Sarah Jeanne Babits. Kathi will verruchter, durchtriebener sein, mag ihr konservatives und eintöniges Lebensmodell aufgeben. Es sind spannende Charaktere, die Johann Nestroy da in seiner Posse „Der Zerrissene“ auf die Bühne stellt. Menschen die im Leben nicht dort stehen, wo sie gerne stehen wollen, die hin und her gerissen sind zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit, zwischen der Konsequenz etwas zu verändern und den Bequemlichkeiten und Zwängen des Alltags.
Zerstörte Tiefe
Doch was Regisseurin Christine Wipplinger im ersten Teil des Stückes an Tiefe aufbaut, zerstört sie im zweiten Teil ihrer Inszenierung. Wolfgang Böck macht nach der Pause aus seiner vielschichtigen Figur des Schmieds einen torkelnden Landstreicher, der schon besoffen ist, noch bevor er einen Doppler Wein leert. Vom unzufriedenen Kapitalisten Lips bleibt ein unsicherer und dummer „Knecht“ über. Kathi wiederum verfällt in tiefe Trauer über den vermeintlichen Tod beider. Das Stück macht seinem Namen alle Ehre: Zerrissen wirkt es in zwei Teile. Fast so, als hätte man die Schauspieler ausgetauscht. Eigentlich eine geniale Idee, würde die Zerrissenheit nicht durch Flachheit erzeugt. Aus den Figuren werden Persiflagen ihrer selbst. Böck torkelt mehr und mehr über und unter die Bühne und lustig schreitet das Stück mit „Tür auf und Tür zu“ voran. „Schnell ermittelt“-Kommissar Wolf Bachofner gibt den despotischen Gutsbesitzer Krautkopf doch in seiner Darstellung ist der eher eine Lachnummer. Dem Publikum gefällt es.
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Beeindruckend: Die Arkarden sind Teil der Bühne. Foto: ORF |
Doch bevor sich die Figuren so dramatisch verändern, passiert ein offensichtlich prägendes Ereignis. In einem Gerangel stürzen Lips und Gluthammer in den Burggraben. Alle auf der Bühne glauben, dass sie tot sind und die beiden in wirklich unversehrt Abgestürzten, glauben das vom jeweils anderen auch. Um nicht als Mörder angeklagt zu werden, verstecken sie sich. Das verändert die beiden stark. Doch als Publikum darf man an diesem spannenden Prozess der Veränderung nicht teilhaben. Auch nicht daran, warum etwas später Lips für Kathi entflammt. Irgendwie hat man den Eindruck, dass hier verbindendes fehlt, große Lücken im Stück klaffen. Und dann, nach allerlei Verwechslungen, das plötzliche „happy end“, das in Kobersdorf so gar nicht glücklich wirkt. Lips macht Kathi einen Heiratsantrag. Im Originalmanuskript sollten sich nun die Beiden in die Arme fallen. Doch in Kobersdorf bleiben sie weit auseinander stehen und Kathi schaut Lips nicht einmal an. Bis zu diesem Moment war Kathis Liebe für Lips das bestimmende Element ihrer Figur. Doch jetzt, wo sie endlich von Lips beachtet und begehrt wird, scheint ihr Interesse an dem reichen Langweiler vorbei. Und für das Publikum heißt es, jetzt, wo es wieder spannend wird, gehen die Scheinwerfer aus.
Ein Spiegel für das Publikum
Neben der Zerrissenheit seiner Figuren hält Nestroy seinem Publikum einen Spiegel vor und predigt, dass Reichtum alleine nicht glücklich macht. Reiche haben es schwer um ihrer selbst und nicht wegen ihres Geldes geliebt zu werden. Wer hat noch nie wegen eines finanziellen Vorteils, oder beruflichen Vorankommens eine Schleimspur geIegt? In Kobersdorf darf sich das Publikum im ersten Akt in einer Spiegelpyramide auf der Bühne betrachten und sich immer wieder, auch in den „Freunden“ von Lips, selbst erkennen. Reflexion ist unbequem und so sind auch einige aus dem Publikum in der Pause wenig begeistert von dieser Inszenierung. Nach dem zweiten Teil dann mehr Applaus. Mehr Slapstik, ein paar theatralische und viel zu oft wiederholte Gesten helfen, sich nicht allzu tief mit dem Sinn und der ernsten Thematik des Stückes auseinanderzusetzen.
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Kathi und Lips. Foto: ORF |
Ein bisschen ratlos verlässt man den Schlosshof von Kobersdorf. Man ist hin und hergerissen zwischen Begeisterung für das Ambiente, lustigen Szenen, gelungenen musikalischen Einlagen und auf der anderen Seite antiquiertem Slapstick in peinlich überzeichnetem Hans-Moser-Stil und selbstverliebten Tollpatscheleien auf der Bühne. Hier wurde vieles angerissen, aber von Zerreißen keine Spur. In Kobersdorf lässt man leider Tiefe nicht zu. Die Figuren Gluthammer und Lips überleben die Fluten, ertrinken aber in ihrer Seichtheit.
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