Samstag, 12. Juli 2014

Tatort: Mödling 1111 - Ein spektakulärer Stadtspaziergang

Drei Stunden für 1111 Jahre. An 11 Schauplätzen erzählt das Schauspielteam von Kunst&Kultur “Gschichtln” aus Mödling, anlässlich eines so gar nicht runden Geburtstags. Und es ist eine ganze Menge Theaterstoff, den Autorin Nici Neiss da zusammengetragen und in ein Stationentheater gepackt hat.
Im Beethovenhaus: Frau Tuschek ärgert sich über
Beethovens Klavierspiel. Foto: Marcus Marschalek
Vielleicht sogar eine Spur zu viel. Hin und wieder schaut man auf die Uhr, doch dazwischen gibt es viele Momente, wo die Zeit wie im Flug vergeht, wo das Ensamble sein Publikum zu packen versteht.

Masken, Tanz und Kasperl


Da gibt es ein K&K Kasperltheater im Krawany-Hof: “Seid ihr auch alle da?” Nici Neiss versteht es ihrem Kasperl, den sie auch selber spielt, fast dämonische Präsenz zu verleihen. Verzaubert und hörig schaut das Publikum zu, um nach dem dramatischen Auftritt von Kronprinz Rudolf, vom Kasperl weiter zum nächsten Spielort geschickt zu werden. “Husch, husch,” scheucht der Kasperl sein Zuseher vor sich her. 11 Schauspieler und Schauspielerinnen schlüpfen an diesem Abend in 40 Rollen und haben ein gutes Gespür für die Balance zwischen Dramatik und Humor. Während des gesamten Abends schaffen sie es fast immer die Spannung zu halten und das Publikum neugierig zum nächsten Spielort zu treiben.
Ein eindrucksvoller Kasperl im K&K Theater
Foto: Marcus Marschalek

Stark sind die Szenen über die Kriegsheimkehrer am Brunnen in der Brühlerstraße oder über die Judenverfolgung in Mödling. Beklemmend der Gang von St. Otmar durch die Kirchengasse. Hier rufen Zeitungsjungen, werden Transparente entrollt und es wird lautstark protestiert. Als Publikum ist man plötzlich mitten im Geschehen und kann in der engen Gasse nicht ausweichen, der “Zeitreise” nicht entkommen. Aber das Stück bleibt nicht in der Geschichte stecken. Vieles wirkt erstaunlich aktuell. Beschwerden über zu lautes Musizieren von Beethoven oder der erfolglose Kampf von Anton Wildgans gegen Korruption im Burgtheater, könnten auch gerade aktuell passieren.


Geschichte und Gegenwart im rechten Maß


Dass Menschen lieben und hassen, denunzieren und eigene Vorteile suchen, für Ideale einstehen, andere Ausgrenzen, sich vor Fremden fürchten, Intrigen spinnen, heiraten und morden, an all dem scheint sich durch die Jahrhunderte nicht viel verändert zu haben. Inszenierung und Text haben da ein gutes Gefühl Geschichte und Gegenwart im rechten Maß zu verbinden und laufen nicht in die Falle kabarettistischer Schenkelklopferpointen.
Der Graml-Toni erzählt vom Justizirrtum am Kirchplatz
vor St. Otmar. Foto: Marcus Marschalek

Ein starker Momente auch die Begegnung mit der Pest. Ohne szenische Darstellung, nur mit allerlei Stimmakrobatik wird man hier akustisch geküsst und es läuft einem warum und kalt über den Rücken und auch hier gelingt es die Jahrhunderte zu verbinden und das Publikum zwischen Nachdenken und Schmunzeln in Schwebe zu halten.

Wenig Mittel, viel Output


Natürlich merkt man immer wieder, dass diesem szenischen Stadtspaziergang die Mitteln einer großen teuren Produktion fehlen. An manchen Szenen hätte man durchaus noch feilen können. Die Tanzeinlagen der Schlussrevue wirken noch ein bisschen nach Laienbühne und würden noch einige Probenarbeit vertragen.
"Heute Krieg, morgen Sieg" rufen die begeisterten Mödlinger.
Ein paar Monate später sind viele tot, die Überlebenden
verletzt an Leib und Seele. Foto: Marcus Marschalek

Dennoch ist das fast unmögliche gelungen: 1111 Jahre und 40 Personen mit ihren Geschichten in einen interessanten Theaterabend zu verweben, ist eher ein Vorhaben, dass von vornherein hätte scheitern müssen. Doch Musik und Kostüm schaffen eine gekonnte Verbindung zwischen den Szenen und Figuren. Und wer sich auf die Begegnung, etwa mit der Anningerwirtin, Bürgermeister Thoma, Kaiserin Sisi, Ordensschwester Restituta oder auch Musiker Falco und vielen anderen, in Mödling einst lebenden Menschen einlässt, wird nicht enttäuscht.






Montag, 7. Juli 2014

"Der Zerrissene": Die Antithese zu “Geld macht glücklich”

Bei den Schloss-Spielen in Kobersdorf steht heuer “Der Zerrissene” von Johann Nestroy auf dem Programm. Auf der Bühne geht es um spannende Charaktere, die alles etwas wollen, was sie im Augenblick aber nicht haben. Und dann geht es auch noch um Erbschleicherei. Fazit: Geld macht verführerisch aber nicht glücklich. Joschi Kirschner hätte noch ergänzt, “aber man soll rechtzeitig drauf schaun, dass man’s hat, wenn man’s braucht”.

Gluthammer und Gutsverwalter Krautkopf. Foto: ORF
Da gibt es einen Schmied namens Gluthammer, dargestellt von Wolfgang Böck, der Eisengitter montieren und Hämmer schwingen soll. Doch Gluthammer träumt vom Modegeschäft und der süßen Liebe zu Madame Schleyer. Dann gibt es einen gelangweilten Kapitalisten namens Lips, gespielt von Fritz Hammel, der gerne alles wäre, nur nicht reich, denn er spürt das Leben nicht mehr. Und dann tritt auch noch Kathi auf die Bühne: Brav und bieder, dargestellt von Sarah Jeanne Babits. Kathi will verruchter, durchtriebener sein, mag ihr konservatives und eintöniges Lebensmodell aufgeben. Es sind spannende Charaktere, die Johann Nestroy da in seiner Posse „Der Zerrissene“ auf die Bühne stellt. Menschen die im Leben nicht dort stehen, wo sie gerne stehen wollen, die hin und her gerissen sind zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit, zwischen der Konsequenz etwas zu verändern und den Bequemlichkeiten und Zwängen des Alltags.

Zerstörte Tiefe


Doch was Regisseurin Christine Wipplinger im ersten Teil des Stückes an Tiefe aufbaut, zerstört sie im zweiten Teil ihrer Inszenierung. Wolfgang Böck macht nach der Pause aus seiner vielschichtigen Figur des Schmieds einen torkelnden Landstreicher, der schon besoffen ist, noch bevor er einen Doppler Wein leert. Vom unzufriedenen Kapitalisten Lips bleibt ein unsicherer und dummer „Knecht“ über. Kathi wiederum verfällt in tiefe Trauer über den vermeintlichen Tod beider. Das Stück macht seinem Namen alle Ehre: Zerrissen wirkt es in zwei Teile. Fast so, als hätte man die Schauspieler ausgetauscht. Eigentlich eine geniale Idee, würde die Zerrissenheit nicht durch Flachheit erzeugt. Aus den Figuren werden Persiflagen ihrer selbst. Böck torkelt mehr und mehr über und unter die Bühne und lustig schreitet das Stück mit „Tür auf und Tür zu“ voran. „Schnell ermittelt“-Kommissar Wolf Bachofner gibt den despotischen Gutsbesitzer Krautkopf doch in seiner Darstellung ist der eher eine Lachnummer. Dem Publikum gefällt es.

Beeindruckend: Die Arkarden sind Teil der Bühne. Foto: ORF
Doch bevor sich die Figuren so dramatisch verändern, passiert ein offensichtlich prägendes Ereignis. In einem Gerangel stürzen Lips und Gluthammer in den Burggraben. Alle auf der Bühne glauben, dass sie tot sind und die beiden in wirklich unversehrt Abgestürzten, glauben das vom jeweils anderen auch. Um nicht als Mörder angeklagt zu werden, verstecken sie sich. Das verändert die beiden stark. Doch als Publikum darf man an diesem spannenden Prozess der Veränderung nicht teilhaben. Auch nicht daran, warum etwas später Lips für Kathi entflammt. Irgendwie hat man den Eindruck, dass hier verbindendes fehlt, große Lücken im Stück klaffen. Und dann, nach allerlei Verwechslungen, das plötzliche „happy end“, das in Kobersdorf so gar nicht glücklich wirkt. Lips macht Kathi einen Heiratsantrag. Im Originalmanuskript sollten sich nun die Beiden in die Arme fallen. Doch in Kobersdorf bleiben sie weit auseinander stehen und Kathi schaut Lips nicht einmal an. Bis zu diesem Moment war Kathis Liebe für Lips das bestimmende Element ihrer Figur. Doch jetzt, wo sie endlich von Lips beachtet und begehrt wird, scheint ihr Interesse an dem reichen Langweiler vorbei. Und für das Publikum heißt es, jetzt, wo es wieder spannend wird, gehen die Scheinwerfer aus.

Ein Spiegel für das Publikum


Neben der Zerrissenheit seiner Figuren hält Nestroy seinem Publikum einen Spiegel vor und predigt, dass Reichtum alleine nicht glücklich macht. Reiche haben es schwer um ihrer selbst und nicht wegen ihres Geldes geliebt zu werden. Wer hat noch nie wegen eines finanziellen Vorteils, oder beruflichen Vorankommens eine Schleimspur geIegt? In Kobersdorf darf sich das Publikum im ersten Akt in einer Spiegelpyramide auf der Bühne betrachten und sich immer wieder, auch in den „Freunden“ von Lips, selbst erkennen. Reflexion ist unbequem und so sind auch einige aus dem Publikum in der Pause wenig begeistert von dieser Inszenierung. Nach dem zweiten Teil dann mehr Applaus. Mehr Slapstik, ein paar theatralische und viel zu oft wiederholte Gesten helfen, sich nicht allzu tief mit dem Sinn und der ernsten Thematik des Stückes auseinanderzusetzen.
Kathi und Lips. Foto: ORF

Ein bisschen ratlos verlässt man den Schlosshof von Kobersdorf. Man ist hin und hergerissen zwischen Begeisterung für das Ambiente, lustigen Szenen, gelungenen musikalischen Einlagen und auf der anderen Seite antiquiertem Slapstick in peinlich überzeichnetem Hans-Moser-Stil und selbstverliebten Tollpatscheleien auf der Bühne. Hier wurde vieles angerissen, aber von Zerreißen keine Spur. In Kobersdorf lässt man leider Tiefe nicht zu. Die Figuren Gluthammer und Lips überleben die Fluten, ertrinken aber in ihrer Seichtheit.