Donnerstag, 30. Juli 2009

Reisebericht Kasachstan

Bis vor wenigen Stunden war Kasachstan für mich das Synonym für „ganz wo anders“ und vor allem „keine Ahnung wo“, nun spult der Monitor in der Flugzeugkabine virtuell den Flug immer wieder ab. Frankfurt, Moskau, Astana. Fünfeinhalb Stunden und dann sollte ich dort sein, wo Europa endet und Asien beginnt, zumindest in den Köpfen der Menschen. Nach der fünfzehnten animierten 3D Wiederholung weiß ich nun genau wo Kasachstan liegt und dass es mindestens so groß sein muss wie der Rest von Europa.

Ich bat beim Einchecken um einen Platz am Fester oder am Gang. Bekommen habe ich einen schmalen Slot in der Reihe sieben zwischen einem Ehepaar aus Kasachstan um die 60 Jahre. Beide sehr freundlich ständig um ein Gespräch bemüht. Er spricht sogar zehn Worte deutsch. Unsere Diskussion über die großen Probleme der Menschheit hat sich dann aber doch nach 30 Minuten erschöpft. Also reden die zwei miteinander kasachisch, immer über mich in der Mitte hinweg, rücken von links und rechts immer näher an mich heran. Ich fühle mich „richtig wohl“, probiere die Augen zu schließen, um in eine Art hypnotische Flugstarre zu verfallen, aus der ich mich nach 5 Stunden hoffentlich selber wieder befreien kann.

Zumindest nach außen sichtbar klappt das sehr gut und so attestiert mein Sitznachbar kurz vor der Landung: „Du so still, meine Frau immer bewegen und schnarchen, oh!“.

5:30 Uhr in der Früh. Die Sonne blitzt durch die Häuserfluchten von Astana, der Flieger setzt auf. Was sich mir zeigt entspricht so gar nicht dem Bild meiner Erwartungen von in der Steppe lebenden Hirten. Wo bin ich da gelandet? Eine Stadt als Kreuzung von Las Vegas und Disneyland mit ein paar rumänischen Präsidentenpalästen dazwischen. Astana ist auf den ersten Blick eine klinisch saubere Modellstadt, am Reißbrett entworfen. Auf den zweiten Blick ist vieles noch Baustelle. Hinter den fertigen Fassaden ist er Ziegel noch roh. Nach außen wird hier geklotzt und nicht gekleckert. Hier sind einige Stadtplaner direkt von den Legosteinen auf Betonklötze umgestiegen und spielen Sims im realen Leben. Achtspurige Prachtstraßen, Pyramiden, kunstvolle Brücken eine Fantasielandschaft, wie sie in einem Vergnügungspark nicht schöner zu finden ist. Und schon bald soll das ganze um ein vielfaches größer werden, Million Menschen beherbergen.

Ich treffe Journalisten aus Frankreich, England, Spanien, Deutschland und Chile. Als Gruppe werden wir durch die Stadt chauffiert. Die Stadt bleibt Fassade. Wo sind hier die Menschen? Wo kaufen sie ein, wo leben sie, wie verbringen sie ihre Freizeit? Von außen kann man den Gebäuden, die teilweise die Gesetze der Schwerkraft aufzuheben scheinen, ihre Nutzung nicht ablesen: Pyramiden, Eier, Trichter, Kegel, schief und gerade, gigantische Gebäude wie Nester, oder ein Glassturz der gleichsam eines Biosphäre-Experiments Bäume, Straßen und Wohnungen beherbergt.

Stopp bei der großen Moschee. Natürlich ein Prachtbau. Platz für 5000 Gläubige. Wir treffen den Obermufti von Astana. Er sprich von einem toleranten Islam, von Friede und Verständigung unter den Religionen. Das selber etwas später beim Erzbischof Tomash Peta. Auch hier viele „fromme“ Worte. Doch wo wird Verständigung, Toleranz konkret, wo findet der Dialog zwischen den Religionen statt? Ist in dieser Stadt wirklich alles Fassade?

Apropos Fassade: Auf der Abtei außen ist ein riesengroßes Plakat vom Papst angebracht. Nein nicht Benedikt XVI., sonder Johannes Paul II. Obwohl man hier der Zeit voraus ist, scheint man bei manchen doch eher hinterher zu sei. Aber Rom ist weit!

Die Regierung stellt uns Dolmetscherinnen zur Seite. Sie wetteifern weniger mit ihren Übersetzungen, als vielmehr über die Höhe der Stöckelschuhe und Spitze der Absätze miteinander. Von nun an ist unsere journalistischer Blick auf die Schuhe der Frauen gerichtet. Unter sieben cm Absatzhöhe geht hier kein Frau auf die Straße.

Was den Frauen ihre Absätze, sind den Polizisten ihre Kappen. Ich glaube bei etwas stärkerem Wind können sie damit sogar fliegen.

Vor mir eine Pyramide, wie sie die alten Ägypter nicht besser hätten bauen können. Noch steht sie am Stadtrand von Astana, der elf Jahre alten Hauptstadt von Kasachstan. Aber schon bald soll sie sich im Zentrum dieser neuen „künstlichen“ Stadt befinden. Unterirdisch betreten wir Journalisten das gigantische Bauwerk. Sicherheitschecks wie am Flughafen. Dann geht es mit dem Schrägaufzug aus dem Keller hinauf zur Ebene sieben. Rund 70 Kameraleute, 100 Fotografen und rund 200 Journalisten drängen sich hier um die besten Plätze.

Die „Weltkonferenz der Religionen“ in Kasachstan beginnt: Raumschiff Enterprise next generation. Dieses Bild werde ich nicht mehr los. Hier sitzen sie also die religiösen Führer dieser Welt in ihren bunten Gewändern. Turban und Talar, Kutte und Kaftan. Das Bild aus der Scienc Fiction TV-Serie wird hier Realität. Meine Gefühle sind nicht klar: Zeigt sich hier Vielfalt und Tradition oder Eitelkeit und Macht? Ich tendiere zu Eitelkeit und Macht. Wie Politiker lassen sie sich viele hofieren, bemühen Unterhändler die zuarbeiten, geben sich teilweise unnahbar. Rundherum ein großer Medienzirkus.
Immer wieder kommen kasachstanische Sicherheitsbeamter auf uns zu. Jetzt dürfen wir filmen. Hundertschaften von Reportern stürzen sich die schmalen schrägen Gänge in der Pyramide hinab, bis zum Roundtable der Großen. Unten schicken dann andere Sicherheitsbeamte alle unverrichteter Dinge wieder hinauf. Ein Spiel, dass wir Journalisten noch ein paar Mal spielen dürfen.

Ich such mir einen anderen Weg, entziehe mich der informationssüchtigen Journalistenmasse und finde eine kleine offene Tür ohne Security. Pyramiden haben immer schon Geheimgänge gehabt. Es geht steil im Dunkeln bergauf. Ein paar Minuten später bin ich in der Glasspitze der Pyramide angekommen. Von hier hat man einen wunderbaren Blick über Astana, doch alles wirkt von hier noch konstruierter: Strassen, Wege, Bäume, Häuser. Alles steht an seinem Platz, einer höheren Reissbrett Ordnung folgend.

70 Meter tiefer versprechen die religiösen Führer dieser Welt einander Freundschaft und gegenseitige Anerkennung. Freude, Friede, Eierkuchen … alle Probleme sind gelöst zumindest hier, zumindest für wenige Augenblicke, denn dann verlässt die Iranische Delegation von Religionsvertretern den Saal, als Israelis sprechen.

Drei Tage gemeinsames Schleppen von Kameras und Equipment verbindet. Mehr als die Hälfte aller TV-Berichterstatter sind Video Journalisten. Zuerst sind es die lustigen Geschichten, von Verwechslungen am Flughafen, oder Pannen beim Dreh, doch dann hört man die Geschichten von viel Arbeit, von nie zu Hause sein, Stories von am Job zerbrochenen Beziehungen. Es sind intensive Tage. Ich habe das Gefühl schon zwei Wochen in Kasachstan zu sein. Bei der Konferenz treffe ich Interviewpartner aus Ankara, Istanbul und Damaskus, sie erkennen mich wieder, „wow, bin ich Polyglott“.

Besuch in der russisch orthodoxen Kirche in Astana. Fünf Kameraleute und vier Fotografen „stürzen“ sich auf sieben frommen Frauen in der Kirche. Die Andacht beginnt und bleibt durch unsere Präsenz doch recht unandächtig. Dennoch, die kleine orthodoxe Wochentagsgemeinde bleibt uns gewogen, singt tapfer die Litanei zu ende und zeigt uns nach dem Gottesdienst sogar die Baustelle ihrer neuen orthodoxen Kirche. Bombastisch, kitschig, riesig. Wie könnte es anders sein in Astana.

Aber endlich sehe ich, wo all die Menschen leben. Es gibt ein zweites Gesicht von Astana. Einen alten Teil, mit „echten“ Häusern, „echten“ Menschen. Hier gibt es Geschäfte, Verkehrsstau und Dreck. Eine ganz normale Stadt also.

Nächtliche Fahrt mit dem Taxi durch die Stadt. Der Taxifahrer hält unsere Journalistengruppe für verrückt. An jedem Fenster klebt einer mit einer Kamera und versucht die kunterbunte Lichtstimmung der Stadt einzufangen. Überall blinkt es, spielen die Farben auf den Hausfassaden, projizieren starke Projektoren bunte Bilder auf die Häuser. Alle 500 Meter machen wir einen Stopp, Stativ aufbauen, drehen, abbauen. Wir brauchen so drei Stunden für eine Strecke von 10 Minuten. Kommen erst um zwei Uhr in der Früh wieder zurück ins Hotel.

Um vier Uhr muss ich schon wieder zum Flughafen. „Schnell“ speichere ich meine Drehdaten, um zumindest eine Stunde zu schlafen. Am Flughafen ist kaum etwas los. Der Handgepäck-Scan ist versperrt. Ich setze mich davor und warte eineinhalb Stunden. Russische Ansagen, kasachische Schrift, die Hektik um mich berührt mich nicht. Dann werde ich doch etwas unruhig. Mein Flieger geht in 40 Minuten, warum kann man nicht zum Gate? Was ich nicht weiß, man muss über die Absperrung darübersteigen. Doch jetzt ist mein Gate nicht nur „abgesperrt“ sondern auch schon „closed“. Zum Glück erbarmt sich dann das Flughafenpersonal meiner und ich darf doch noch in Richtung Moskau und dann weiter nach Wien fliegen. Und noch eine Bemerkung sei mir erlaubt: Warum trinkt alle Menschen im Flugzeug Tomatensaft?

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