Freudlos, emotionslos, farblos und feig. Zur Kompensation seines schwachen Ichs erfindet Herman (Markus Scheumann) ein Wir, in dessen vermeintlichen Dienst er sich stellt. Wir gegen die anderen! Wir gegen die Unterdrücker! Fortan wird er als eiskalter und mörderischer Stratege die Fäden ziehen, mit mechanischer Präzision. Martin Kušej wagt sich am Wiener Burgtheater an Heinrich von Kleist “Hermannsschlacht” heran und erntet mäßigen Applaus. Das Stück ist schwierig und vom Nationalsozialismus punziert und so versucht sich Kušej an einer radikalen Umdeutung.
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"Die Hermannsschlacht" im Wiener Burgtheater |
Aus dem von den Nazis glorifizieren Befreier Hermann macht er einen duckmäuserischen Feigling, der aus den hinteren Reihen im Kampf gegen die besetzenden Römer vor keinem Mittel der Manipulation zurückschreckt. Das Monstrum sieht man Hermann nicht an. Dennoch erstaunlich, wie wenig dieser Hermann braucht, um sein Umfeld zu dirigieren. Ein paar dreiste Lügen, ein paar überhöhte Versprechungen, “Fake News”. Wichtig ist vor allem das Angst Schüren unter den eigenen Leuten und wenn die Besatzer zu echten Gräueltaten nicht taugen, dann müssen die eigenen Kämpfer in Uniformen der Römer Dörfer Niederbrennen und Kinder erschlagen. Kušej findet unzählige Anknüpfungspunkte an aktuelle Geschehnisse und packt viel an Symbolik und Anspielung in das Stück.
Und dennoch kommt das ganze nicht in Schwung, auch wenn sich die eindrucksvolle Bühne (Martin Zehetgruber) immer wieder dreht und stets neue Blicke in den Teutoburger-Betonpoller-Wald eröffnet. In genialen düsteren Lichtstimmungen, unterlegt von einem tollen Soundteppich (Bert Wrede), wird die Sinnlosigkeit von Krieg und Gemetzel unterstrichen. Gute Zutaten, spannende Ideen eine interessante Umdeutungen und dennoch funktioniert das alles zusammen nicht besonders gut in Wien auf der Bühne. Kleists Hermannsschlacht ist ein Propagandastück. Es geht um Kriegsgejole und charismatische "Befreier", auch wenn sie sich später als die neuen Despoten entpuppen.
Kušej nimmt Hermann sein Heldenhaftes und seine Strahlkraft, zeichnet ihn wie einen beziehungsunfähigen Biedermann, der sich in seinem Körper nicht wohlfühlt. Seinem Hermann bereitet nichts Lust. Eine undankbare Aufgabe für einen Schauspieler. Auch fehlt die Fallhöhe. Das Stück beginnt im Dunkelgrau und endet im Schwarz. In keiner Minute ist man als Publikum in der Versuchung, auf diesem Hermann hereinzufallen, seine Propaganda zu glauben und so bleibt man drei Stunden später noch immer unbeteiligter Zuschauer.
Da hilft dann auch der Holzhammer nicht: Kušej läßt Hermann und seine Mannen als rechtsnationale Burschenschafter auftreten und dreht das Licht im Zuschauerraum an. Wir sind im Heute gelandet. Alle sollen jetzt hineingenommen sein in das Geschehen. Ertappt? Nein, das Publikum ist es nicht. Der eventuell geplante Skandal und die große Empörung bleiben aus.
Vielleicht hat hier einer zu sehr mit dem Kopf gearbeitet, konstruiert und dabei übersehen, dass Theater vor allem mit Emotionen spielt, so wie es die großen Manipulatoren auch machen?