Donnerstag, 26. Dezember 2019

Hermannsschlacht: Freudlos, farblos und feig

Freudlos, emotionslos, farblos und feig. Zur Kompensation seines schwachen Ichs erfindet Herman (Markus Scheumann) ein Wir, in dessen vermeintlichen Dienst er sich stellt. Wir gegen die anderen! Wir gegen die Unterdrücker! Fortan wird er als eiskalter und mörderischer Stratege die Fäden ziehen, mit mechanischer Präzision. Martin Kušej wagt sich am Wiener Burgtheater an Heinrich von Kleist “Hermannsschlacht” heran und erntet mäßigen Applaus. Das Stück ist schwierig und vom Nationalsozialismus punziert und so versucht sich Kušej an einer radikalen Umdeutung.
"Die Hermannsschlacht" im Wiener Burgtheater
Aus dem von den Nazis glorifizieren Befreier Hermann macht er einen duckmäuserischen Feigling, der aus den hinteren Reihen im Kampf gegen die besetzenden Römer vor keinem Mittel der Manipulation zurückschreckt. Das Monstrum sieht man Hermann nicht an. Dennoch erstaunlich, wie wenig dieser Hermann braucht, um sein Umfeld zu dirigieren. Ein paar dreiste Lügen, ein paar überhöhte Versprechungen, “Fake News”. Wichtig ist vor allem das Angst Schüren unter den eigenen Leuten und wenn die Besatzer zu echten Gräueltaten nicht taugen, dann müssen die eigenen Kämpfer in Uniformen der Römer Dörfer Niederbrennen und Kinder erschlagen. Kušej findet unzählige Anknüpfungspunkte an aktuelle Geschehnisse und packt viel an Symbolik und Anspielung in das Stück.
Und dennoch kommt das ganze nicht in Schwung, auch wenn sich die eindrucksvolle Bühne (Martin Zehetgruber) immer wieder dreht und stets neue Blicke in den Teutoburger-Betonpoller-Wald eröffnet. In genialen düsteren Lichtstimmungen, unterlegt von einem tollen Soundteppich (Bert Wrede), wird die Sinnlosigkeit von Krieg und Gemetzel unterstrichen. Gute Zutaten, spannende Ideen eine interessante Umdeutungen und dennoch funktioniert das alles zusammen nicht besonders gut in Wien auf der Bühne. Kleists Hermannsschlacht ist ein Propagandastück. Es geht um Kriegsgejole und charismatische "Befreier", auch wenn sie sich später als die neuen Despoten entpuppen.
Kušej nimmt Hermann sein Heldenhaftes und seine Strahlkraft, zeichnet ihn wie einen beziehungsunfähigen Biedermann, der sich in seinem Körper nicht wohlfühlt. Seinem Hermann bereitet nichts Lust. Eine undankbare Aufgabe für einen Schauspieler. Auch fehlt die Fallhöhe. Das Stück beginnt im Dunkelgrau und endet im Schwarz. In keiner Minute ist man als Publikum in der Versuchung, auf diesem Hermann hereinzufallen, seine Propaganda zu glauben und so bleibt man drei Stunden später noch immer unbeteiligter Zuschauer.
Da hilft dann auch der Holzhammer nicht: Kušej läßt Hermann und seine Mannen als rechtsnationale Burschenschafter auftreten und dreht das Licht im Zuschauerraum an. Wir sind im Heute gelandet. Alle sollen jetzt hineingenommen sein in das Geschehen. Ertappt? Nein, das Publikum ist es nicht. Der eventuell geplante Skandal und die große Empörung bleiben aus.
Vielleicht hat hier einer zu sehr mit dem Kopf gearbeitet, konstruiert und dabei übersehen, dass Theater vor allem mit Emotionen spielt, so wie es die großen Manipulatoren auch machen?

Sonntag, 17. November 2019

Der Parasit

Erschreckend, dass sich wenig verändert. 1797 schrieb Louis-Benoît Picard sein Lustspiel “Médiocre et rampant”. Ein schmieriger, schleimiger Menschen schafft es da durch Lügen und Manipulation, Menschenverachtung und Ausnehmen anderer nach oben. Friedrich Schiller übersetzt, dichtet ein bisschen um und veröffentlicht den Stoff als “Der Parasit”. 2019 bringt das Theater am Weinberg in der Perchtoldsdorfer Burg das Spiel auf die Bühne und fast jede Zeile könnte aus den Innenpolitikspalten aktueller Zeitungen stammen.
Theater am Weinberg spielt 2019 "Der Parasit"
Es ist beeindruckend, in welcher hohen Professionalität das Ensemble rund um Gertrude Tartarotti agiert. Vor allem Alice Rabl brilliert als durchtriebener Selicour, dem nichts zu dreist ist, um an die Macht zu kommen. In Mimik und Gestik, im Winden und Buckeln, im Herausreden und “Hineinkriechen” zeichnet sie als Frau einen männlichen Bühnen-Charakter, den man aus dem realen Leben zu kennen glaubt.
Lustspiele haben ein happy end, so sind wir es gewohnt und dazu hat Gertrude Tartarotti einen genialen Einfall. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Und beim Nachdenken über das Stück erkennt man vielleicht die eine oder andere Eigenschaft der Figuren im “Parasit” auch an sich selbst? Also aufmachen ans Ändern, sonst bleibt alles erschreckend gleich!

Donnerstag, 7. November 2019

Funny Money

Drei Türen, eine Reihe von Verwechslungen und ein Koffer voller Geld. Ray Cooney hat 1994 eine Farce veröffentlicht, der man gut und gerne ein paar Jahrzehnte mehr an Alter zutrauen würde. Dazu passt der kleine Theaterraum des Theaters in der Pfarre Liesing. Er ist genauso wie das Stück, ein wenig verstaubt und in die Jahre gekommen.
Was das kleine Ensemble dort aber auf die Mini-Bühne zaubert, ist beachtlich. Nach ein paar Minuten kommt man aus dem Lachen nicht mehr heraus. Das Publikum taucht ein, in eine Welt voller surealer Wendungen und unmöglicher Verstrickungen. Komödie zu spielen ist schwer. Aufs Stichwort lustig sein, eine Herausforderung und dann noch das Publikum mitreißen, ist wirklich eine Kunst. Was Ester Simon, Georg und Andreas Simon, Jürgen Fuchs, Peter Puschmann, Silvia Mayr, Bernhard Pokorny und Roland Weber unter der Regie von Roman Mayr mit wenigen Mitteln auf die Bühne zaubern ist beachtlich. Danke für einen vergnüglichen Theaterabend in einer harten Arbeitswoche. Ich habe es sehr genossen und möchte jetzt gar nicht darüber nachdenken, was ich denn mit einem gefundenen Koffer voller Geld machen würde.

Freitag, 5. Juli 2019

Onkel Wanja

Ein Holzlager wie ein Käfig. Stehende Platten bilden undurchdringbare Wände, Latten formen ein Gitter, wie in einem Gefängnis. 2019 mutiert die Bühne vor der Burg Perchtoldsdorf zum Gut Serebrjakows in Anton Tschechows Theaterklassiker Onkel Wanja. Die einst mächtigen Wälder rings um das Gut sind jetzt zu Brettern verarbeitet. Der Schaffensdrang der Menschen hat hart eingegriffen in die Natur und den Lebensraum für Tiere und Menschen zerstört. Entstanden ist ein Käfig, aus dem es schwer zu entkommen ist. Ohne viel nachzudenken hat Onkel Wanja seine besten Jahre durchgearbeitet, um aufzubauen, Kredit abzuzahlen, um weiterzukommen. Aber wohin? Zum Nachdenken blieb keine Zeit.

Das ändert sich, als plötzlich Professor Alexander Wladimirowitsch und seine junge Frau am Gut auftauchen. Das Hamsterrad stoppt, die Erscheinung von Wladimirowitschs Frau wirft alle aus der Bahn. Die Figuren in Tschechows Theaterklassiker beginnen nachzudenken und zu begehren. Vieles am eigenen Leben scheint plötzlich sinnlos und vergeudet. Der Text wirkt wie heute geschrieben, ist aber 120 Jahre alt. Viel hat sich also nicht geändert. Regisseur Michael Sturminger bringt ihn in einer bearbeiteten Fassung auf die Bühne und steht vor einer großen Herausforderung. Denn wie zeige ich es, wenn sich Charaktere zu Tode langweilen, antriebslos Trübsal blasen und als Ausweg nicht den Schritt nach draußen, sondern nur zur Flasche sehen?
Tschechows Stück ist in der Inszenierung von Sturminger keine Komödie, auch keine, bei der einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Es gibt nichts zu lachen. Die Figuren sind auch alles andere als schillernd. Die Kostüme sind farblos und fad und das Bühnen-Holzlager-Gefängnis ist gut gedacht, wirkt aber die ganze Aufführung hindurch wie ein Fremdkörper.
Eine Freiluftaufführung hat es freilich schwer. Da sind alle drei Minuten Flugzeuge, scheppert das Personal vom Cateringzelt, dröhnt in der Ferne ein Kühlaggregat und der Blick über die Burg, bis nach Wien hinein, hilft nicht gerade bei der Fokussierung auf das Geschehen. Wenn dann auch der Ton ständig Probleme hat und der eine oder andere Schauspieler nicht mehr oder nur noch verzerrt zu hören ist, haben es die Darstellerinnen und Darsteller schwer die Spannung zu halten.
Erst nach der Pause, wenn es ringsum finster ist und die Flieger in Schwechat gelandet, rückt die Bühne mehr ins Zentrum. Dennoch packt der packende Text in dieser Inszenierung wenig. Die Figuren wirken aufgesetzt, die Charakter gespielt, die acht Menschen auf der Bühne werden nicht zum Ensemble. Das Stück bleibt ein Stück, wird nicht lebendig. Der Zuschauer bleibt Zuschauer und taucht nicht ein. Und dennoch: Aufgabe erfüllt. Man verlässt den Perchtoldsdorfer Burgplatz mit dem innigen Wunsch nicht am Gut Serebrjakows zu laden und sich rechtzeitig mit der Frage nach dem Sinn auseinanderzusetzen.