Samstag, 29. Dezember 2018

Nun habet allesamt Achtung Leut

“Nun habet allesamt Achtung Leut und hört, was wir vorstellen heut!” Seit fast 100 Jahren schallen diese Textzeilen zu Beginn des “Jedermann” über den Salzburger Domplatz. Gestern habe ich sie im Wiener Burgtheater vernommen. Bei den ersten Worten hält sich Autor Ferdinand Schmalz noch an die Vorlage von Hugo von Hofmannsthal. Dann überschreibt er, transferiert das bekannt Mysterientheater in die Finanzwelt von heute. Hofmannsthal hatte ja vor 120 Jahren nichts anderes gemacht. Auch er war nur einer, der den jahrhundertealten Stoff weitergeschrieben hat.

Ich bin mir nicht sicher - vielleicht waren es die Hustenanfälle der Leute rings um mich - aber es hat eine Zeit gedauert, bis mich das Spiel “Jedermann (stirbt)” in seinen Bann gezogen hat. Man muss sich schon ordentlich konzentrieren, um den Text in seiner Fülle aufnehmen zu können. Die neuen Verse von Schmalz sind für mich durchaus gelungene Fortschreibungen, aber auch nicht einfacher zu verarbeiten, als die ans Mittelhochdeutsche erinnernde Kunstsprache von Hofmannsthal.
Die bekannten Figuren wie Gott, Tod und Teufel, Buhlschaft und Jedermann sind neu gruppiert. Die Bühne auf ein Minimum eindrucksvoll reduziert: Eine goldene Mauer mit einem Loch darin, dahinter der nicht sichtbare Lustgarten, in dem die rauschende Party stattfindet. Der Tod eine geheimnisvolle Frau, die als unbekannter Gast am Gelage teilnimmt. Die “Guten Werke” stellen sich als “Charity” vor und lassen einen schmunzeln. Doch die Sache ist nicht Lustig. Es geht um Leben und Tod!
Man merkt: Autor und Regisseur haben sich intensiv mit dem alten Stück beschäftigt, um mit nahezu jeder Textzeile, Mimik und Requisite dem Publikum einen Spiegel vorzuhalten. Von menschenverachtenden Finanzgeschäften ist da genauso die Rede, wie von Massentierhaltung und Umweltzerstörung aus Habgier oder Beziehungen ohne Tiefgang. Vielleicht ein paar Dinge zu viel, die da angesprochen werden. Irgendwann macht man im Publikum zu, nimmt sich aus dem Stück wieder heraus und bleibt im Zuschauerraum auf Distanz.
Wird irgendeiner der Theatergäste nach der Vorstellung sein ethisch bedenkliches Aktienportfolio verkaufen, auf das Schnitzel aus einer Mastfarm verzichten oder dem nächsten lästigen Bettler in der U-Bahn Geld geben?
Jedermann ist ein sehr moralisches Stück (Nietzsche würde es vielleicht “moralines” Stück nennen) und droht mit der Keule sein Leben zu verwirken. Am Wiener Burgtheater stirbt Jedermann am Schluss als Sündenbock für alle anderen. Denn “der Tod kann auch etwas nützliches sein, wenn er einen nicht selber trifft.” Und so geht es mir nach dieser Vorstellung: Ich war dabei, aber nicht mitten drin.
PS: In Rodaun planen wir Hofmannsthals Jedermann vor der Bergkirchen im September 2020 aufzuführen. Wer bei Organisation, Schauspiel und Sonstigem noch mitwirken möchte, bitte bei mir melden. Kick-off Meeting ist dann am 10. Jänner 2019 in der "Werkerei" um 19.30 Uhr in der Ketzergasse 423.