Samstag, 13. September 2014

Von schweren Jungs und leichten Mädchen

Zwanzig Minuten lang hektisches Gedudel im Orchestergraben. Hatten die Bläser und Streicher keine Zeit zum Üben? Jetzt gesellen sich auch noch Schlagwerker dazu und bearbeiten ihre Instrumente. In der Wiener Volksoper entsteht eine unglaubliche Klangwolke, die nicht nur mich den baldigen Beginn des Stückes herbeisehnen lässt.
Guys and Dolls an der Wiener Volksoper. Großartiges 
Bühnenbild und Kostüme aus den 50er Jahren.
Foto: Dimo Dimov/Volksoper Wien 


Und dann wird die Bühne endlich hell. Auf eine Leinwand wird "Guys and Dolls" groß projiziert. Ich bin also im richtigen Stück gelandet! Der Lärm aus dem Orchestergraben wird zur Ouvertüre und schon kommt man aus dem Schauen und Staunen nicht mehr heraus. “Die schweren Jungs und leichten Mädchen” strömen hinter den Vorhängen hervor und bevölkern die Kulisse New Yorks. Viel mehr Sänger, Statisten und Tänzer hätten nicht mehr Platz auf der Bühne. So sah also das Alltagsleben in den 50er Jahren am Broadway aus, zumindest in der Musicalversion. Mein erster Gedanke: Wie kann sich so ein Aufwand für eine Vorstellung rechnen? Wer kann das alles bezahlen? Ich leiste jedenfalls heute zum Gehalt der Darsteller keinen Beitrag, denn ein “Geburtstagsgutschein” von culturall.com ermöglicht mir einen Sitzplatz um null, statt um 51 Euro. Eine unerwartete Gabe, denn mein Geburtstag liegt, je nach Betrachtungsweise, weit vor oder hinter mir.


Adelaide ist verschnupft.
Foto: Dimo Dimov/Volksoper Wien 
Vielleicht habe ich das Geschenk deshalb erhalten, weil mein Geburtsjahr und die deutsche Uraufführung des Musicals 1969 waren. Ich finde aber, man hätte das mit der deutschen Übersetzung lieber bleiben lassen sollen, denn die Texte sind schon auf Englisch kurios genug. Auf deutsch werden sie auch noch sehr holprig und eigentlich versteht man dank des gewaltigen Orchesters ohnedies kaum etwas. Das denke ich mir aber bei jeder österreichischen Musicalaufführung.


Ich erfreue mich also statt am Text, lieber am Großaufgebot an Musikern, Tänzern, Sängern und Schauspielern. Nach vielen Theaterbesuchen mit kargen Inszenierungen und auf wenige Symbole reduzierten Bühnenbildern, meist schwarz in schwarz, ist das hier das ganz Andere. Aus dem Schnürboden werden eindrucksvolle Kulissen herabgelassen und bunte Kostüme wirbeln über die Bühne. Hier hat man sich bemüht, gute Unterhaltung zu bieten. Von besonderem Erfolg gekrönt ist dies bei Sigrid Hauser. Genial, wie sie "überdreht" die Rolle der “verschnupften” Tänzerin Adelaide anlegt. Die immer wieder enttäuschte Liebe zu Nathan beschert ihr Halsweh und Schnupfen. Das Publikum, vor allem Frauen über 60, finden das zum Schreien und so übertönt das laute Lachen aus dem Publikum hin und wieder sogar das riesige Orchester.
Sarah betreibt Mission mit dem Trichter. 
Foto: Dimo Dimov/Volksoper Wien 

Adelaide will ihren Verlobten Nathan Detroid nach vielen Jahren Beziehung endlich heiraten und damit zähmen. Er will sich aber nicht binden und schon gar nicht ändern, sondern als “freier” Mann lieber illegale Wettspiele organisieren. Da ist aber noch eine zweite Frau hinter den “wilden, sündigen” Männern her. Sarah Brown - sie ist Heilsarmee-Sergeantin und zunächst an den Seelen interessiert. Unermüdlich versucht sie die schweren Jungs in ihrer Mission zum Gebet zu bewegen. Für mich gibt es da ein paar wirklich gelungene, lustige Szenen, denn in der Missionsstation ist ein Bibelvers falsch zitiert und immer wieder wird auf humorige Weise offensichtlich, wie hohl und inhaltsleer so mancher Missionsversuch sein kann. Menschen machen sich schnell lächerlich, vor allem dann, wenn sie ohne Denken etwas nachplappern und das dann auch noch anderen aufoktroyieren wollen. Genau hier versucht das Stück weit mehr zu vermitteln und ist viel tiefsinniger, als das auf den ersten Blick scheint. Denn Missionsversuche gibt es nicht nur im religiösen Kontext. Offensichtlich lieben es Menschen, anderen eigene Verhaltensmuster aufzuzwingen und diese als absolute letzte Wahrheiten zu “verkaufen”. Auch in den Beziehungen zwischen Nathan und Adelaide sowie Sarah und Sky Masterson geht es darum, wie eigene Bilder auf andere projiziert werden und warum Veränderungswünsche meist beim anderen und nicht bei einem selbst ansetzen.

Es kommt wie es kommen muss, denn das Stück ist aus dem Jahr 1950. Adelaide heiratet Nathan und Sarah wird mit dem Edelganoven Sky Masterson glücklich. Alles gut, Ende gut. Ein vergnüglicher Theaterabend mit einer herausragenden Sigrid Hauser. Hatschi!