Samstag, 30. Oktober 2010

Resebericht Kerala - Indien

Millimeterarbeit

Auf der Nepal-Karte ist der Weg als „Araniko Highway“ bezeichnet. Vielleicht wird er das einmal, wenn in Jahren die Bauarbeiten abgeschlossen sind. Derzeit schaut es eher nach planlosem Löcher graben aus. Zwischen Baggern, Hügeln und Gruben schieben sich Mopeds, Lastwagen und wir, in einem Jeep, durch die Dörfer. Wir das sind Vertreter von SOS-Kinderdorf Österreich, Mitarbeiter von SOS-Kinderdorf Nepal und ich. Sechs mal sind wir nun schon diesen Weg zwischen Kavre und Katmandu gefahren. Ein paar Kilometer nur, für die wir aber mehr als eine Stunde benötigen. Doch es geht nichts über Präzession: Nur wenige Millimeter trennen unsere Karosserie von allem möglich anderem.

Eingestaubt

Fast das ganze Leben hier spielt sich links und rechts von dieser „dirty road“ ab. Rund vier Millionen Menschen leben in und rund um Katmandu, der Hauptstadt von Nepal und es scheint so, als wäre jeder doppelt auf der Straße. Es staubt und die Dieselmotoren hüllen alles in schwarze Rußwolken. Wie es die Menschen hier schaffen ihre Kleidung stets so farbenfroh zu halten bleibt mir ein Rätsel. Mich jedenfalls überzieht nach einem halben Tag eine dicke Staubschicht.

Am Straßenrand treffen wir eine Frau die hier ein Gemüsegeschäft betreibt. Eigentlich ist ihr Geschäft auf der anderen Straßenseite. Doch der Laden steht leer. Ihr Gemüse hat sie auf dem Boden ausgebreitet. Die Leute kaufen hier lieber direkt vom Straßegraben, sagt sie uns. Um vier in der Früh ist sie bereits zum Großmarkt unterwegs und besorgt mit dem Taxi frisches Gemüse und Obst für ihr „bodenständiges“ Straßengeschäft.

In den Kinderdörfern sind wir Ehrengäste. Spalier, herzliche Begrüßung, Tanzvorführungen, Präsentationen und Ehren-Ring-Überreichungen an langgediente Mütter stehen jeweils auf dem Programm. Danach gibt es gutes Essen. Auch hier gilt: Die Nepalesen machen alles gerne auf dem Boden. Auf der Wiese hinter dem Festplatz werden die Zutaten zubereitet und danach alles in 150-Liter-Töpfen gekocht. Vielleicht sollte ich nicht überall dahinter schauen. Ich vergesse die Eindrücke meiner neugierigen Blicke und lassen mir den Appetit nicht verderben. Traditionell wird mit den Fingern gegessen. Wir bekommen jedoch Besteck.

Röter geht’s nimmer!


Nicht weit vom Kinderdorf Sano Thimi liegt Bhaktapur, ein 800 Jahre alte, gut erhaltene Tempelstadt. Kurzer Abstecher zu dieser Touristenattraktion. Magische Anziehungskraft auf die Besucher hier hat einer der ältesten Tempel. Hunderte Fotoapparate klicken und lichten ab, was sonst nur in schmuddeligen Rotlicht-Bars zu sehen ist, hier allerdings öffentlich auf Steintafeln und Holzschnitzereien, schon seit Jahrhunderten. Ob die Menschen wegen der Hitze, oder der pikanten Darstellungen so stark erröten?

Das „Nirvana“ als Ziel

Unser Ziel ist das Hotel „Nirvana“ und wir fliegen mit „Buddha Air“. Also wenn da nicht das Herz eines Religionsjournalisten höher schlägt! Die kleine Maschine huscht noch schnell vor einem großen Brummer auf die Landebahn und schnell wird Katmandu kleiner, leiser und bekommt Struktur von oben. Hinter den Wolken werden die ersten Spitzen des Himalaja-Gebirges Sichtbar. Hinter mir im Flieger sitzt ein Nepalfan, er benennt jeden der hunderten Sieben- und Achtausender-Gipfel. Anerkennende Blicke der Mitreisenden sind im sicher. Ein sehr Eindrucksvolles Erlebnis so nah am „Dach der Welt“ vorbei zu fliegen.

Lubini ist eine Bio-Sauna. Aufguss während der Regenzeit. Jetzt dampft es noch ein bisschen nach. Unmittelbar neben dem Flughafen steht das neue Kinderdorf. Von Minute zu Minute scharren sich mehr Polizisten mit schweren Waffen rund um das Dorf. Ich erfahre, dass der nepalesische Präsident erwartet wird. Die Temperaturen steigen und zum Glück trage ich keinen dunklen Anzug und auch keine Krawatte, so wie viele andere, die so aussehen, als kämen sie gerade aus der Dusche.

Durchbruch des Sicherheitswalls

Das Protokoll in Nepal verlangt die höfliche Anrede aller Ehrengäste. An diesem Vormittag höre ich die lange Liste aller „most honorable“ Personen bestimmt zehn mal. Jede Rede beginnt und endet mit dieser Aufzählung. Und dann ist das Kinderdorf nach Stunden eröffnet. Der nepalesische Präsident schaut etwas grimmig drein, dennoch durchbreche ich den Sicherheitswall seiner Bewacher und mache zum Erstaunen der Securities beim Mittagessen ein Kurzinterview mit ihm. Manchmal hat es auch einen Vorteil, wenn man die Sprache in einem Land nicht versteht. All die Verbote und Zurückweisungen habe ich so gar nicht mitbekommen.

Waffen und Käsefüße

Bhairahawa, so heißt die Stadt in der wir nächtigen. Neben dem nepalesischen Präsidenten ist auch den „Governor of Tirol“ angereist. Mehrere Polizisten werden für Ehre und Schutz des ausländischen Gastes abgestellt. Mit den Waffen im Anschlag und schweren Stiefeln umkreisen sie unser Hotel „Nirvana“. Allerdings nur solange, bis ihr Vorgesetzter sich in eine Hotelsuit zurückzieht. Um halb eins in der Nacht wird die Hotelhalle dann nur noch mit Hilfe von starken Geruchsstoffen bewacht. Die Polizisten haben ihre Schuhe ausgezogen und schnarchen fest auf den Couchen in der Lobby, die Finger natürlich im Abzug an den Waffen. Ich sitze gegenüber, versuche Emails zu beantworten und fürchte ein Ereignis, dass den friedlichen Schlaf unserer Bewacher stören könnte, eine unvorsichtige Bewegung und es besteht berechtigte Angst wirklich im „Nirvana“ zu landen.

Und dann betritt tatsächlich eine obskure Gestalt gegen halb zwei die Hotellobby. Stellt sich hinter mich und tut so, als ob sie noch nie einen Laptop gesehen hat. Als nur noch 15 cm Abstand zwischen Fremdem und meinem Monitor sind, klappe ich zu und gehe auf mein Zimmer. Die Soldaten schlafen friedlich weiter.

Die Anzahl der Kellner toppt die der Polizisten. Dennoch: das Frühstück dauert. Dann bekommen wir gebackenes Gemüse mit Chilli. Ganz mein Geschmack.

Singende Kinder und schwingende Brücken

Drei Stunden geht es nun mit dem Auto nach Bharatpur, in ein weiteres der sieben Kinderdörfer in Nepal. Die Landschaft ist faszinierend. Giftgrüne Reisfelder und kaum ist man um die Kurve, Müllhalden und staubige Dörfer, um so gleich wieder in üppiger Landschaft zu landen: Gegensätze und starke Kontraste. Ein Brücke bringt uns an das andere Ufer über einen der größten Flüsse Nepals. Unter uns wird Schotter und Sand gewonnen, daneben baden Ochsen und Kinder. Ich versuche eine Videoaufnahme, doch die Brücke schwingt so stark, dass eine Aufnahme unmöglich ist. Endlich am anderen Ufer, erreichen wir sogleich das Kinderdorf. Wieder herzlicher Empfang, Spalier, Begrüßung und vorzügliches Essen! Die Kinder haben eine tolle Show einstudiert. Ein wunderbar kurzweiliges Programm aus Trachtenschau, Tanz, Musik und Ansprachen und ein Landeshauptmann aus Tirol, der für die Kinder Jodeln muss.

Tiroler Delegation und SOS-Betreuer verlassen mich nun Richtung Katmandu. Ich entscheide mich für einen weiteren Drehtag in Lumbini und steige in den Bus. Mit dieser Fahrt, kann keine noch so tolle Attraktion in einem Vergnügungspark mithalten. Auf der Rückfahrt von Bharatpur, Einbruch der Nacht auf halber Strecke. Auf der Straße hunderte unbeleuchtet Radfahrer, Kühe, Ziegen und Hunde. Alle paar Kilometer hat ein LKW oder Bus eine Panne. Davor sitzen die Menschen einfach mitten auf der Straße und warten, vielleicht auf Licht? Um die Spannung zu steigern, ab und zu tiefe Schlaglöcher und Felsen. Das einzige was bei vielen Gefährten wirklich funktioniert ist die Hupe.

Von Drahteseln und deren Entmannung


Fahrräder sind hier nicht nur Drahtesel, sondern wahre Lasttiere. Baustämme, Felsen, Heu und Reis, alles wird voll Kreativität auf das bisschen Metall mit zwei Gummireifen gepackt. Überhaupt, bei den Fahrzeugen herrscht hier der Hang zur Fantasie, Indien lässt bei der Bemalung der LKWs „grüßen“. Wichtigste Aufschrift: „Please Horn“.

Ich „spiele“ übrigens mehrfach „Kotan“. Immer wieder überholt knapp am Auto ein Fahrrad. Wir bleiben stehen, ich öffne die Tür und wie aus dem Nichts, …. schon wieder habe ich Fahrrad und Fahrer voneinander getrennt. Zum Glück ist nichts passiert. Die Nepalesen sind in vielen Belangen sehr zäh!

Morgenstund hat Gold im Mund

Ich überwinde mich bereits kurz fünf Uhr in der Früh das Bett zu verlassen und gewinne einen neuen Eindruck. Die Menschen sind hier schon alle wach, nützen die Kühle des Morgens für ihre Arbeiten.

Morgenmesse bei den „Sisters of the Cross of Chavanod“. Sieben Schwerstern und Pater Sebastian feiern in einem kleinen Zimmer Gottesdienst. Danach machen sich die Schwerstern auf in die Schule und in das von ihnen betriebene Behindertenheim. Viele Katholiken gibt es hier nicht. Obwohl die Schwerstern schon zwanzig Jahre vor Ort tätig sind, gibt es in der Stadt nur eine katholische Familie. Pater Sebastian zeigt mir seine Kirche. Eine große Halle, die mehr oder wenige leer steht. Nur zu Ostern oder Weihnachten kommen die Leute, meist aus Neugier.