Gleich durchmachen oder doch noch kurz schlafen gehen? Das ist die Frage, die wir uns nach zwei Uhr morgens stellen. Egal wie viel Zeit man sich für die Reisevorbereitungen nimmt, es geht sich immer gerade auf die letzte Minute aus und manchmal auch nicht.
Wie immer entwickelten wir am Tag unserer Abreise ungeheure Kreativität Projekte aus den letzten Monaten doch noch fertig stellen zu wollen und gleich noch weitere neue zu beginnen. Und diesmal sind es nicht Video-Schnitte, die ich bis zum Hupen des Flughafentaxis durchführe. Nein, ich lernen dazu und habe es nicht gewagt so kurz vor dem Abflug noch einen PC einzuschalten. Dafür habe ich „wichtige“ offene Einkäufe der letzten Wochen erledigt und einen Zaun im Garten gebaut, Gras gesät, Werkstatt aufgeräumt, ... Petra begann mit einer gründlichen Speisekammerinspektion der anschließend eine fundamentale Aufräumaktion folgte und dann wollten wir ja auch noch den Dachboden zusammen räumen und einige Sträucher verpflanzen … alles ganz wichtige Dinge vor einer Reise nach Venezuela.
Einzig Julia hat bereits gegen Mittag den Inhalt ihres Zimmers rund um einen Koffer im Wohnzimmer ausgebreitet. Seither besteht unsere Wohnung aus nicht mehr passierbaren zwei Teilen.
Also kurz Zusammengefasst: Meinem Koffer widme ich mich erst weit nach Mitternacht und kurz vor unserem Abflug. Und ich entscheide mich doch noch für einen kurzen Schlaf. Petra zieht das Grübeln der Erholung vor und während ich selig ein paar Minuten träume, macht sie kein Auge zu.
Ich bin Optimist!
Daher glaube ich nach 41 Lebensjahren noch immer, dass man auch in zehn Minuten all das erledigen kann, für das man bisher noch nie kürzer als 45 Minuten gebraucht hat. Um 4.49 Uhr macht uns der Taxifahrer nicht gerade freundlich auf unsere Verspätung aufmerksam. Insgesamt ist Zeit ja sehr unfair aufgeteilt: Jetzt fehlt sie uns, um dann in Frankfurt fünf Stunden im Überfluss zur Verfügung zu stehen.
Jedenfalls Zeit vergeht und verändert die Dinge: Einst waren es Tabletts mit Butter, Eierspeise und mehr Verpackung als Essen, die man in den Fliegern zum Frühstück bekam, so ist nun der Nachfolger des späteren „Lufthansaweckerls“ ein trockenes pures und ehrliches Do&Co Kipferl. Im Mund wird es zu einer kaugummiartigen Kugel, mit der man sehr wahrscheinlich Öl-Bohrlöcher stopfen könnte.
Blitzbesuch in Frankfurt
Die knappen fünf Stunden Transferzeit in Frankfurt wollen wir nicht am Flughafen verbringen. Also starten wir einen Blitzbesuch in die Frankfurter Innenstadt besuchen Fußgängerzone, Liebfrauenkirche, Dom und Main und erstehen nebenbei Season III von „Prison Break“. Statt der hessischen Spezialität „Ebbelwei Gickle“ entscheiden wir uns beim Mittagessen für „landestypisches“ Nan-Brot, indisches Masala, Pappadum und Lamm. Eigentlich wird es knapp mit der Rückfahrt zum Flughafen, aber im Urlaub soll man sich Zeit zum Essen nehmen.
In Frankfurt gelte ich ja als potentieller Sprengstofftransporteur. Wie das „Amen im Gebet“ folgt auch diesmal für mich nach dem Sicherheitscheck der Sprengstoffcheck. Man muss ja gleich viel weniger warten, wenn man knapp zum Flugzeug kommt.
Sehr wahrscheinlich wurde die Condor-Maschine noch kurz vor Abflug zu heiß gewaschen. Nur nach starken Verkrümmungen passe ich in den Sitz. Ich freue mich auf die kommenden 11 Stunden!
Ein paar lustige Schweizer und eine deutsche Studentin bieten ein wenig Abwechslung vom Sitz-Schmerz. Mit Rum, den sie heimlich an Board geschmuggelt haben, verdünnen sie jedes Cola und Bier, werden zunehmend lauter, um dann nach sechs Stunden Flug vollkommen „abzustürzen“. Zum Glück gibt es in jeder Sitztasche ein „Speibsackerl“.
Vierundzwanzig Stunden unterwegs
Jetzt sind wir fast vierundzwanzig Stunden unterwegs und unter uns sieht man bereits die Lichter der Isla Magarita. Sanfte Landung. Am Flughafen durchwühlen Sicherheitsbeamte die Koffer von Mitreisenden. Meinen Koffer muss ich nicht öffnen, denn das ist er bereits. Sein Verschluss hat den Flug nicht überstanden, es scheint jedoch nichts zu fehlen. Wir passieren ohne Probleme die Security und fahren zu unserem Hotel, einmal quer über die Insel. Mein neuer Stil einen Koffer zu tragen verwundert Umstehende sehr.
Eine riesige Hotelanlage liegt vor uns. Die Dunkelheit verstärkt die Orientierungslosigkeit. Mehrere Restaurants, verschiedene Bereiche, Pools, Bars. Unser erster Eindruck: Wow!
Am Tag eins nach Ankunft geben wir uns ganz dem „All inclusive“ hin. Üppiges Frühstück, üppiges Mittagessen, üppige Snacks und üppiges Abendessen … wenn das so weiter geht, brauchen wir für jeden von uns zwei Sitzplätze beim Rückflug. Der Strand ist wie auf einer Postkarte, riesig, weiß und mit Palmen. Caipirinhas an der Strandbar im Überfluss.
Hinauf in den Regenwald
Nach zwei Tagen nichts tun, drängt es uns hinauf in den Regenwald. Um 6.45 Uhr machen wir uns auf zur Bergtour mit einem einheimischen Führer. Wir starten etwa auf Meeresniveau. Die Vegetation ist steppenartig, Gras und ein paar kleine, dornige Sträucher, Steine. Doch schon nach hundert Höhenmetern ändert sich die Landschaft total. Die Sträucher überragen uns bereits, es wird grüner, saftiger. Umgekehrt zu Österreich, wo oben die schroffen Felsen ragen und unten die grünen Bäume stehen. Auf unserem Weg zum Regenwald am Berggipfel auf ca. 450 Metern ändert sich nun alle hundert Höhenmeter der Bewuchs und die Akustik. Jede Zone hat ihre Tiere die ordentlich Lärm machen. Still hingegen sitzen die Taranteln in ihren Pflanzen links und rechts an unserem Weg. Die Anstrengung des Weges lässt und schwitzen, obwohl die äußere Temperatur merkbar abfällt. Unglaublich, dass auf so wenig Höhenmetern so unterschiedliche Klimazonen existieren. Nach vier Stunden Aufstieg mit ein paar Pausen, haben wir es geschafft. Riesige Bäume mit Luftwurzeln, üppigste Pflanzen mit immensen Blättern versperren jeden Blick auf den Himmel. Ein nahezu undurchdringbares, grünes Dach breitet sich über uns aus. Wir sind im Regenwald am Berggipfel angekommen. Hier fangen sich die Wolken und regnen in heftigen Güssen aus. Wir bleiben jedoch trocken. Früher haben Menschen Teile diese Urwalds bewirtschaftet. Im Schatten der riesigen Bäume wurde Kaffee und Kakao angepflanzt, erzählt uns unserer Führer. Dann suchen wir uns Früchte, trinken aus Kokosnüssen und schwingen uns an Lianen hängend durch den Wald. Doch es heißt geben und nehmen und so werden wir selber auch zur Nahrung - für hungrige Moskitos.
Ein paar Tage relaxen wir nun schon im Hotel. Der Strand fasziniert uns. Obwohl jeder Küstenabschnitt in Venezuela öffentlich ist, kommen an „unserem“ mehr als einen Kilometer langen weißen Sandstreifen kaum Leute vorbei, auch die Hotelgäste sind hier kaum präsent. Und so sind wir relativ alleine beim Spielen mit den Wellen.
Das Fatima Lateinamerikas
Heute wollen wir die Insel umrunden. Erster Punkt unserer Besichtigungen ist der Wallfahrtstort El Valle. Ein kleiner Ort mit einer noch kleineren Kirche. Dennoch, er wird als das „Fatima Lateinamerikas“ gehandelt. Vor uns war auch schon Papst Johannes Paul II. hier. Der Stuhl auf dem er für fünf Minuten gesessen ist, wird seither als „Heiliger Stuhl“ verehrt, hunderte Blumen werden täglich davor abgelegt. Dass der „neue“ Papst Benedikt heißt, hat sich bis hierher noch nicht herumgesprochen. Die Kirche wird nicht geputzt, sondern ständig neu gestrichen, auch eine Methode, die Dinge sauber zu halten.
Austerndinner in den Salzwassermangroven
Für uns geht es weiter in die Salzwassermangroven zwischen Isla Margarita und Isla Macanau. Zwei Stunden kurven wir mit dem Motorboot durch enge überwachsene Kanäle, brechen uns Austern von den Mangrovenwurzeln und halten unser erstes Austerndinner. Wir sind uns einig: Das waren nicht unsere letzten Austern! Der kulinarischen Genüsse nicht genug, essen wir beim Verlassen der Mangroven dann auch noch die besten Empanadas der Welt, mit herrlichen Saucen – der Straßenstand außen pfui und innen hui!
Etwas später ist Bildung angesagt. Die Universität hier betreibt ein Meeresmuseum mit angeschlossenem Aquarium. Klein aber fein. Wir trauen uns unbekanntes Meeresgetier (Schnecken, Würmer, Egel, Igel und Sterne) aus dem Wasser zu fischen und anzugreifen.
Dann umrunden wir noch die „Insel“ Macanau, die durch eine Sandbank mit Margarita zu einer Insel zusammengewachsen ist. Fantastisch sind die verschiedenen Klimazonen hier. Margarita ist ganz grün und tropisch, Macanau, nur wenige Kilometer daneben, karge Steppe.
Das Günstigste auf der Insel ist neben Benzin Alkohol
Es ist unvorstellbar, dass Tage auf der Insel ohne Cocktail enden, also prosten wir uns mit Cola Rum zu. (Mit der Information, dass Rum hier billiger als Cola oder auch Wasser ist, kennt man auch schon die Mengenverteilung.) Alkoholsucht ist hier anscheinend ein echtes Problem. Dennoch, Herumtorkeln oder Grölen ist hier auch unter Jugendlichen nicht schick, obwohl die Menschen wirklich viel trinken.
Rund 400.000 Menschen leben auf Isla Margarita und es ist interessant beim Durchqueren der Ortschaften ein wenig in die Häuser zu blicken. Wunderschöne gepflegte Grundstücke neben echten Bruchbunden. Sehr einfache Räume bloß mit einem Sessel und einer Hängematte ausgestattet, neben geschmackvollen Wohnzimmern voll von Möbel und Kunstwerken. Da Häuser hier meistens keine Fenster, sondern nur Gitter haben, ist Voyeurismus vorprogrammiert .
Kreuzerl am Wahlzettel
Für das richtige Kreuzerl am Wahlzettel bekommen hier die Menschen viel, so erzählt man uns, von Autos bis zu neuen Häusern als „Wahlzuckerl“. Das Sozialsystem ist auf der Insel sehr gut ausgebaut. Schule und medizinische Versorgung ist für jeden komplett gratis und am letzten Stand. Überhaupt übernimmt der Staat hier eine gewisse Grundversorgung für alle. Das spornt viele nicht gerade zu Höchstleistungen an, „man bekommt es so oder so“, erzählt man uns. Benzin zum Beispiel wird vom Staat quasi verschenkt. Ein voller Tank mit 50 Litern kostet 1,20 Euro. Offene Stellen gibt es hier auf der Insel genug, aber nur wenige Menschen, die einen Job wollen oder brauchen.
Auch für den Urlaub scheint der Staat zuständig zu sein. Viele Kinder und Jugendliche aus Venezuela werden organisiert in Gruppen in den Hotels der Insel für ein oder zwei Wochen untergebracht und betreut, gratis!
Die schönsten Frauen der Welt?
Leider scheint das mit den schönsten Frauen der Welt, die angeblich aus Venezuela kommen sollen, eher ein Gerücht zu sein. Es hat hier zwar fast jede Frau einen stolz vor sich hergeschobenen Silikonbusen, das Geld hätte aber besser in eine Fettabsaugung investiert werden sollen. Frauen unter 90 kg sind hier rar.
Nasser als nass am Fischerboot
Wir besteigen ein Fischerboot. Durch diese Prozedur sind wir bereits nass, bevor wir auch nur eine nautische Meile zurückgelegt haben. Dann hebt sich das Vorderteil des Bootes aus dem Wasser und fliegt mehr als es fährt an der Küste entlang. Was bis jetzt noch trocken war, ist nun durch Spritzwasser getränkt, vor allem weil unser Kapitän große Freude an scharfen Kurven hat. Will er wirklich das Boot heute noch versenken oder uns von Board schleudern? Es kommt auch noch Wasser von oben dazu. Ein heftiger Schauer erinnert uns daran, dass wir das Land eigentlich zur Regenzeit bereisen. Wir fahren den dunklen Wolken davon und landen auf einer kleinen Strandzunge zwischen romantischen Felsen. Ja, so lässt es sich leben.