Melde mich aus Durban, genauer gesagt aus Marianhill. Hier haben die Weißen schon vor mehr als hundert Jahren eine katholische Festung mitten in die schöne Landschaft Südafrikas gebaut. Ein bisschen steirisches Hügelland, ein wenig Wienerwald und dazwischen Perchtolsdorfer Heide mit vielen Schrebergartenhütten.
Den Flug oder besser gesagt die Flüge hatte ich ein wenig unterschätzt aber 10.000 km sind eben kein Spaziergang, auch nicht in der Luft. Wenngleich, nach keinem Flug hat man wirklich das Gefühl weit fort zu sein. Irritierend ist hier, dass die Sonne „falsch“ aufgeht. Das heißt in der Früh erlebt man eine rückwärts laufenden Sonnenuntergang und die Früh beginnt hier täglich wirklich früh, denn die Leute nutzen das Tageslicht wegen der Kriminalität. Die soll hier super hoch sein. Alle fürchten sich, haben Meter hohe Zäune, Eingangsschleusen und werden trotzdem ständig überfallen. Das heißt niemand geht vor oder nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus.
Auch sonst Schauergeschichten an jedem Ort. Wenn man zum Beispiel vom Bankomaten abhebt, wird man bis nach Hause heimlich verfolgt und dann dort unter Anhalten ein Pistole seines Geldes entledigt. Habe daher noch kein Geld abgehoben! Selbst Tonnen schwere Kerzengießmaschinen werden hier wie Kugelschreiber gestohlen, wurde mir in der Missionsstation erzählt.
Am Sonntag war ich am Indischen Ozean. Meterhohe Wellen, gigantisch. Mehrere Stege lassen einen in „sicherer“ Höhe, von etwas weiter draußen, das Meer betrachten. Ich hab mir noch gedacht, woher wissen denn alle, dass die Wellen wirklich nur 7 Meter und nicht manchmal auch 9 Meter hoch sind. Kaum gedacht, kam auch schon eine 9 Meter hohe Welle. Kann nun sagen, dass ich nicht nur am, sondern auch im Indischen Ozean war. Meiner Kamera hat es weniger gut gefallen. Aber fünf Stunde Föhnwind, dank der Hilfe eines Hairdryers, haben dann kurz vor dem Schmelzen der Kamerahülle, wieder die Lebensgeister in die Kamera zurückgebracht.
Hauptziel meiner Berichterstattung ist Jambulani. Seit zwanzig Jahren betreut hier Sister Act III (Sr. Marco) arme Frauen und Kinder.
Untergebracht bin ich in der Pension „Tre Fontain“, super Küche, passable Zimmer, und beste Betreuung durch katholische Schwestern. Beim Abendessen findet sich täglich eine kurioses Mischung von Gästen ein. Da ist zum Beispiel der Italiener Roberto (84 Jahre alt). Er mietet seit zwanzig Jahren hier ein Zimmer und ist leidenschaftlicher Billiardspieler. Also ging es gleich am zweiten Abend entgegen aller Sicherheitswarnungen hinunter in die Stadt ins „Schlurf“. Ist noch viel schlimmer als es klingt. Roberto hat seinen Führerschein vor 65 Jahren gemacht und seither vergessen, dass es Geschwindigkeitsbeschränku
ngen gibt. Da macht sich vor allem bei den „speed reduction“ Schwellen bemerkbar. Für Roberto scheinen sie nicht zu existieren. Ich hingegen spüre sie noch immer im Kreuz.
Und dann gibt es hier noch einen alten Schotten. Vielleicht würde er im Rock besser aussehen, aber die kurze Hose sieht einfach wie eine Windel aus. Optisch sind eindeutig zwei Kanadierinnen der beste Anblick, fallen aber eher in die Kategorie „Kerzerlschlucker“.
Ab 17:00 Uhr ist es dunkel um 18:00 Uhr Abendessen, spätestens um 20:30 Uhr sind alle im Bett!
An jedem Eck ist hier ein Hilfsprojekt entstanden. 200 Jahre später versucht hier offensichtlich der Westen, ein wenig die Verbrechen der Sklaverei gut zu machen. Rund 4 Millionen Menschen leben rund um Durban. Meist arbeitslos, einkommenslos und perspektivenlos. Kaum jemand hat eine Idee oder Lösung wie man diesen Teufelskreislauf von Armut und Kriminalität durchbrechen kann.
Übrigens hat drei Kilometer vor Durban ein Österreichischer Architekt eine großen Hare Krishna Tempel gebaut. Täglich wird dort für etwa 1000 Bedürftige gekocht und mit Autos das Essen in die „Siedlungen“ gebracht. Am Sonntag war ich kurz dort.
Schön, dass man überall auf der Welt Bekannte Gesichter trifft. Zumindest bekannt aus Funk und Fernsehen. Stefan Krobath hatte ja auf seiner Weltreise eine Zivildiener in Südafrika interviewt. Ich kann mich noch recht gut an diesen Beitrag erinnern und traute meine Augen nicht, als ich Martin Teufel plötzlich auf der Straße sah. Er arbeitet nun hier als Sozialarbeiter und studiert nebenbei. Also ging es heute mit ihm hinaus in die Gegend und wir besuchten Kinderbetreuungseinrichtun
gen des Outreachcenters des St. Mary Hospitals. Zu Mittag gab es vom Lebensmittelgeschäft mitten im Nirgendwo Krapfen mit Extrawurst. Das ist hier eine Spezialität. (Muss man aber dazusagen, denn schmecken tut man das nicht).
Und noch etwas aufregendes habe ich gestern erlebt. Besuch bei einer Sangoma oder auch which doctor genannt. Die Frau hatte 120 Kg, wobei jede ihrer Brüste alleine über 30 Kg Gewicht beigetragen hat. Sie mischt Kräuter, braut Essenzen und rührt Salben. Zu ihr kommen Menschen um Diebesgut wieder zu finden, Verbrecher zu entdecken, oder auch Mörder, um sich von der anhaftenden Seele nach einem Mord zu befreien … . Übrigens hat sie ein Diplom vom Staat und darf vor ihren Namen den Titel Dr. tragen. Ich weiß nicht ob ihre Salben helfen aber kochen kann sie jedenfalls sehr gut.
Spannende Begegnung mit zwei Steirern. Das Ehepaar lebt seit 44 Jahren in Südafrika. Viele Gespräche drehen sich um die Zukunft des Landes. Aus der Sicht der Exilsteirer gibt es nun eine umgekehrte Apartheit. Nach wie vor zählt die Hautfarbe. Egal ob Südafrikaner oder nicht, jede Firma muss einen schwarzen Teilhaber haben, sonst darf in Südafrika nichts verkauft werden. Das Problem dabei: Es gibt kaum Schwarze mit genügend Kapital.
Apropos Wirtschaft: Korruption heute wie früher, nur: „Die Kuh wurde früher vorne gefüttert und hinten kräftig gemolken. Heute wird nicht mehr gefüttert, dennoch kräftig gemolken und dann wird auch noch das Fleisch aufgegessen“. Ein drastisches Beispiel, von Weiße hier in Südafrika gerne erzählt. Pater Georg von Marianhill, den ich zufällig treffe und mit dem sich ein spannendes Gespräch ergibt, besuche ich nochmals am Abend im Kloster. Er hat noch eine andere These zur Korruption. Die Tradition verpflichtet die Zulus einander zu helfen, Bitten von Freunden und Verwandten dürfen nicht abgeschlagen werden. Wenn Schwarze Betriebe übernehmen, werden sie oft um Hilfe angebettelt, der sie sich eigentlich nicht entziehen können. Also wird aus dem Kapital der Betriebe an die Freunde abgegeben, manchmal bis zum kompletten Ruin der gesamten Firma. Korruption als echter Freundschaftsdienst.
Tibetische Mönche scheint es überall auf der Welt zu geben. Auch in Jabulani schaute gestern ein tibetischer Mönch vorbei. Bescheiden, freundlich lächelnd. Weniger Gleichmut habe ich jedoch gezeigt, als ich mir gestern vor lauter Eifer beim Drehen unabsichtlich einen Vormittag Arbeit wieder gelöscht habe. Wie gewonnen so zerronnen. Das sind die Nachteile von Speicherchips. An das virtuelle, nicht greifbare, muss man sich erst gewöhnen. Das, was man jetzt nicht auf Film (den Speicherchips) sehen kann, war ein Ausflug mit Arno, einem Österreichischen Zivildiener des St. Mary Hospitals. Insgesamt sieben Wohnhäuser im Umkreis von 30 Autominuten wurden so adaptiert, dass tagsüber Waisenkinder betreut werden können. Jeweils drei Frauen sollten sich pro Haus mit etwa 20 Kindern beschäftigen. Unterstützt werden sie mit Equipment, Lebensmitteln und ein bisschen Geld. War sehr spannend in die verschiedensten Gegenden im Umkreis tiefer vorzudringen und in die Wohnhäuser zu schauen.
Habe übrigens den tibetischen Mönche gerade wieder am Flughafen getroffen. Der Arme, zwei freikirchliche Christinnen haben sie auf ihn gestürzt und ein „word bombing“ über „Christ the creator“ gestartet. Am Schluss war er fast getauft. Der arme Mönche, immer nur lächeln ist offensichtlich doch nicht der Weg wie man optimal durchs Leben kommt.
Afrika ist ganz anders. Wenn man so durch die Gegend fährt, bei den Leuten zu Gast ist, würde man als Europäer so viel sehen, rasch meinen zu wissen, wie es besser, schneller, einfacher, schöner geht. Doch wer hier versucht mit europäischen Modellen, Konzepten, Normen zu handeln und zu denken wird scheitern oder sich ein Leben lang ärgern. Nicht wenige Europäer laufen seit Jahren wie gegen Gummiwände. Aber auch die Afrikaner haben es schwer mit dem europäischen Erbe. Vieles wurde hier vor Jahren begonnen, dass aber offensichtlich hier keine Tradition hat. Schwierig! So viele Menschen machen sich ständig Gedanken wie es in diesem Land weitergehen kann. Europäischer Schaffensdrang und der afrikanische „way of life“ scheinen jedoch kaum kompatibel.
Mit „Lukas“ Bengale unterwegs nach Durban. Hier wird eines der größten WM-Stadien für nächstes Jahr gebaut. Eine gigantische Hängekonstruktion. Auf dem Rückweg nochmals Stopp bei den Hare Krishnas. Gemeinsam mit dem Chefkoch geht es in die „Townships“. An rund 1000 Hungrige soll heute Essen ausgeteilt werden. Selber hungrig bietet sich in der Nähe der „Hungry Lion“, ein „Fastfoodrestaurant“, für den Lunch an. Plötzlich stoppt die laute Musik über die Lautsprecherboxen und afrikanische Musik dringt vom Grill nach vorne ins Restaurant. Kunden warten vergeblich auf Bedienung, verlassen wieder das Restaurant. Zwischen Pommes und Burger proben die Angestellten für einen Chorwettbewerb in Durban. Die Band kommt von der CD, gesungen wird live, am Handy läuft die Aufnahme für den Bewerb. Als ich klatsche gibt es eine Zugabe. Hungrige Burgerkunden müssen für eine halbe Stunde warten. Jetzt wird gesungen und nicht gebraten.
Dreharbeiten bei Gloria in ihrem Haus. Die richtige Belichtung fällt mir schwer. Kaum Licht und nur schwarze Leute, dahinter überstrahlte Fenster. Stärker könnten die Kontraste nicht sein. Gloria arbeitet bei Sr. Marco in Jambulani. Das Haus hat ihr Sr. Marco gebaut. Jetzt erweitert Gloria für ihre Tochter auf Staatskosten und hat die Bauarbeiter im Haus. Hilfsarbeiter und Lohndumper aus Kenia. Einer ihrer Söhne musste jedoch eigens anreisen um zu Überwachen, dass keine Materialien an die Nachbarn verkauft werden. Diebstahl ist ein großes Problem. Was nicht festgekettet ist, wird abmontiert. Wasserhähne halten gerade ein Nacht. Türschnallen einen halben Tag. Supermärkte sind nicht betretbar, sondern haben ein großes Gitter, durch das die Wahre nach außen gereicht wird. Mitten in der schönsten Natur leben hier Menschen in erbärmlichen Käfigen. Türen, Fenster dick vergittert. Das Grundstück mit meterhohem Stacheldraht mehrfach umfasst.
Kaum kann sich jemand ein wenig erwirtschaften wird er überfallen, das Erwirtschaftete zerstört. Wer hier nichts hat, lebt am sichersten. Jambulani, die Hilfsstation die selber mehr als bedürftig aussieht und in der es letztlich kaum etwas zu holen gibt, wurde schon 11 x überfallen. Seit ein paar Wochen gibt es eine doppelte Eingangs-Schleuse. Um 15:30 Uhr verlassen dann alle gleichzeitig Jambulani, wegen der Sicherheit. Leider sind die ärmsten Menschen scheinbar auch die brutalsten, gemeinsten und hinterhältigsten. Von selig die Armen sehe ich hier keine Spur.
Überaus freundlicher Empfang in der Moschee. Eine spannende Freitagspredigt in englisch. Angenehme endlich einmal in einer Moschee etwas zu verstehen. Die Moscheegemeinde betreibt auch einige Hilfsprojekte: Ein Spital für Arme und täglich Essensausgabe zu Mittag. Ich werde eingeladen und esse mit in der Hoffnung, dass mein Magen halbwegs wohlwollend auch auf diese Art der Speisezubereitung reagiert.
Sie sind schon ein lustiger Haufen die Schwestern vom „Kostbaren Blut“ in Marianhill. Obwohl bunt zusammengewürfelt aus aller Herren Länder, dominieren doch die deutsch sprechenden Schwestern. Jede von ihnen, meist mehr als 30 Jahre in der Mission, hatte einen mehr oder weniger trockenen Scherz auf den Lippen. Keine Spur von strengem, geknechtetem Klosteralltag, zumindest nicht vor Gästen. Sr. Marco ist dann nochmals ein eigenes Kapitel für sich. Eine Mischung aus Sister Act, Mutter Teresa, Künstlernatur und Spitzbub. Ausflug mit ihr ins Naturreservat. Auf der Suche nach Giraffen und Nashörnern war ihr keine noch so „dirty road“ wild genug. Zum Glück hat es das Auto ohne Achsbruch überlebt.
Auf dem Weg zum Flughafen wird Sr. Marco dann doch nachdenklich. Auch sie denkt an die Zukunft. Wie wird es weitergehen mit Jabulani? Wirtschaftlich ist das Unternehmen nicht zu führen. Sie ist rein auf Spenden angewiesen und merkt, dass ihr die Kräfte ausgehen.
Auch in mir bleiben nach dieser Reise viele Fragen über. Zum Beispiel: Warum schaffen es Menschen immer wieder aus einem Paradies eine Hölle zu machen?